Gestern war ich in der Studentengemeinde. Das Thema des Abends war Ernährung und was damit alles zusammenhängt. Also: Was essen wir, wie viel wovon, wie weit muß das rangekarrt werden, unter welchen Bedingungen wird produziert, wer kriegt wie viel vom Gewinn etc etc. Wir saen dann auch nen Ausschnitt aus dem Film „We feed the world“, in dem es um spanische Tomaten ging.
Da wurden dann die Gewächshäuser gezeigt, daß die Pflanzen gar nicht mehr in richtiger Erde wachsen, wei das Krankheiten verursacht etc etc…
Am Ende ging es dann darum, was man ändern könnte, und die Antwort war im Grunde: Regional und saisonal, also Nahrungsmittel aus der Region kaufen und Nahrungsmittel kaufen, die zu der Zeit auch gerade reif sind und nicht aus irgendwelchen Gewächshäusern stammen.
In einer Diskussion im Mittelteil sollten wir uns zu der Frage unterhalten, wieso gesagt würde, daß die europäische Politik den Markt in Afrika schädigt. Andere Gruppen sollten rausfinden, wer die Leidtragenden und die Nutznießer des Systems seien.
Die Fragen hatten Wachtturm-Charakter. Ich weiß nicht wer von den Lesern hier schon einmal von Jehovas Zeugen besucht wurde un wirklich mal einen Blick in den Wachtturm riskiert hat. Für alle, die es nicht kennen: Da gibt es einen Text, der die speziell Zeugen Jehovas-artige Interpretation einer Bibelstelle oder sonstigem darlegt, und am Ende gibt es Fragen, die dann angeblich in der Versammlung auch ne Rolle spielen (weiß ich aber nicht, ich war nie auf ner Versammlung dort, die haben mich nur besucht).
Jedenfalls sind die Antworten auf die Fragen jedes Mal die Wiederholung eines Satzes im Text. Es ist also keine Reflektion des Inhaltes gefragt, sondern nur die Reproduktion.
Das hat mich dann bei der Studentengemeinde schon ein wenig geärgert, daß die Eingeladenen uns scheinbar für so dämlich hielten, daß weiterdenken nicht gefragt war.
Zum Beispiel die Frage nach den Nutznießern. Natürlich die bösen Europäer, die günstig Essen einkaufen wollen. Im Ernst: Ich kann mir nicht jeden Tag Bio leisten, und um mir nen Kopf zu machen was gerade saisonal ist etc ist mir das zu viel Aufwand. Ich komme mir deshalb nicht besonders böse vor, aber egal (scheinbar bin ich aber nicht der Einzige, der nicht durchweg fair ud sozial einkauft).
Jedenfalls stellte ich mal die Frage, ob nicht auch die afrikanischen Konsumenten Nutznießer seien, schließlich könnten sie durch die europäischen Subventionen ebenfalls günstig einkaufen (natürlich ist mir klar, daß dort der Anteil der Bauern an der Gesellschaft signifikant höher ist als hier und daß die Subventionen diese an die Existenz gehen, aber ich wollte ienfach mal das Muster Europa böse – Afrika gut aufbrechen). Darauf bekam ich eine unterschwellig aggressive Antwort in die Richtung, daß dies natürlich sehr phiosophisch gefragt sei und man sich auch Gedanken machen müsse, wie dies mit Abhängigkeiten aussehe nd ob man die wolle etc etc.
Ich hab mich danach dann nicht mehr groß eingebracht, da ich den Eindruck hatte, die Marschrichtung sei klar und ein Querdenken nicht gewünscht. Was ich mir gewünscht hätte, wären da mehr Informationen gewesen zu Einfuhrzöllen, Marktzugang, Auswirkung von Subventionen bzw zu erwartende Auswirkungen bei Streichung etc.
Kurz: Ich wollte die Systemfrage stellen.
Im Moment schreibe ich gerade an einer Arbeit zur Bürgerrechtsbewegung in den USA. Martin Luther King und so. Und da kommen zwei Muster immer wieder. Einerseits die Weißen, bzw die Liberalen unter ihnen. Die waren mit der Rassentrennug aufgewachsen und sahen ein Problem darin, daß die Afroamerikaner schlecht behandelt wurden. Sie stellten aber in ihrer großen Überzahl nicht die Frage nach dem System der Rassentrennung und inwieweit das gerecht sei, sondern sie versuchten innerhalb des Sytems für Veränderung zu sorgen. Oftmals wurde gesagt: Wir bringen die einzelnen Menschen zum Glauben an Jesus Christus, dann werden sie auch ein ethisches Verhalten entwickeln und dann gibt es trotz der Rassentrennung keine Unterdrückung mehr (Schlagwort: seperate but equal).
Auf der anderen Seite waren diejenigen, die das Problem im System sahen und dieses ändern wollten, vor allem die Aktivisten der Bewegung von King, Abernathy und Shuttlesworth bis zu jedem einzelnen Teilnehmer an Demonstrationen und Streiks. Sie erkannten das System als ungerecht ud wollten dafür sorgen, daß auf dieser Ebene eine Änderung herbeigeführt würde. Sie hatten nichts dagegen, wenn Individuen für Christus gewonnen werden sollten, viele waren selbst tief gläubig, die meisten Anführer waren Pfarrer.
Was sie aber auch sahen war, daß es Menschen gab, die sich as Christen bezeichneten und trotzdem Rassisten waren, daß also so as Problem nicht gelöst werden konnte. Und vor allem: Die Ungerechtigkeit besteht und muß schon deshalb direkt angegangen werden, zum Wohle derer, die darunter leiden und ohne größere Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Unterdrücker zu richten.
Was hat das nun mit dem Gemüse und den bösen Europäern zu tun? Wie die Bürgerrechtsaktivisten kein Problem damit hatten und es sogar begrüßten, daß Einzelne sich Christus zuwenden, finde ich ebenfalls gut, wenn jemand saisonal und regional einkauft. Ich kaufe Anfang des Monats auch mal Bio, jedenfalls eher als am Ende wenn das Geld knapp wird. Aber ebenso wie die Bürgerrechtler in der Konversion Einzelner nicht die Lösung sahen, sehe auch ich die Lösung nicht darin, darauf zu warten, daß alle Menschen bewußt einkaufen. Es ist fraglich, ob das überhaupt so weit kommt. Und so lange regional und saisonal teurer ist gibt es außer Idealismus kienen Grund, das zu tun.
Überhaupt frage ich mich, was uns genau stört an nichtregionalen Lebensmitteln? Die Transportwege? Das allein kann es nicht sein, der Transport bringt ja auch Menschen in Lohn und Brot und das ist prinzipiell ja erst einmal gut (das relativiert sich dann vielleicht wieder, wenn man deren Einkommen sieht). Das Problem sind die Emissionen sowie die Verkehrsinfrastruktur, die aufrecht erhalten werden muß um den Transport zu gewährleisten.
Aber was wenn der Transport mit weniger Emission und weniger Infrastruktur zu schaffen ist, und wenn auch der Fernfahrer anständig versient?
Ebenso das Gewächshaus. Was ist das Problem damit, wenn Pflanzen nicht in der Erde wachsen? Das Problem ist doch höchstens, was es an Rssourcen kostet, diese Gewächshäuser zu betreiben, und daß dadurch alle möglichen Umweltprobleme entstehen. Dann sollte man sich doch aber diesen Problemen zuwenden, Energie vielleicht teurer machen (Energiewende?) oder auch das Wasser…
Ein anderer Punkt der im Film aufkam waren die Arbeiter in den Gewächshäusern, die – freundlich ausgedrückt – sich nicht den höchsten Lebensstandard leisten konnten. Aber auch hier: Was ist das Problem? Doch nicht, daß sie in ienem Gewächshaus arbeiten, sondern daß sie nicht angemessen entlohnt werden.
Ich hätte gerne diese Fragen angesprochen, dazu Hintergrundinformationen gehört, dazu Gedanken ausgetauscht und kreativ Gedanken gemacht, wie eine systemische Lösung aussehen könnte. Regional kaufen kann ich danach immer noch.
Leider wurden diese Fragen aber nicht berücksichtigt, ja vielleicht sogar nicht zugelassen. Es hatte etwas Belehrendes, nicht Kommunikatives. Und das war mir eindeutig zu wenig.