Wir sind immer noch bei dem Hetzbild. Mittlerweile ist es die vierte Sure, Sure 5:33. Die Übersetzung auf koran-auf-deutsch.de lautet wie folgt:

Der Lohn derer, die Krieg führen gegen Allah und Seinen Gesandten und Unordnung im Lande zu erregen trachten, wäre der, daß sie getötet oder gekreuzigt werden sollten oder daß ihnen Hände und Füße abgeschlagen werden sollten für den Ungehorsam oder daß sie aus dem Lande vertrieben würden. Das würde eine Schmach für sie sein in dieser Welt; und im Jenseits wird ihnen schwere Strafe;

In der Tat: Verstümmelung und Kreuzigung! Da steht es. Und das sind nur die weltlichen Strafen, im Jenseits soll noch mehr kommen.

Allerdings geht es nicht ums Kritisieren, sondern um Kriegsführung mit dem Ziel, Unordnung im Land (!) zu erregen.

Zu einer säkularen Demokratie passt das nicht. Allerdings wird diese auch nicht beschrieben. Das fragliche „Land“ ist das Reich des „Gesandten“, also Mohammeds. Dieses Reichwar weder säkular noch demokratisch – wie alle Reiche zu jener Zeit.

Man kann nun hingehen und ex post all das kritisieren – und mit Recht. Wir sind da heute weiter. Aber das ist auch billig! Es ist nicht lange her, daß in diesem Land durchaus vergleichbare wenn nciht schlimmere Grauel begangen wurden – und zwar nicht gegen Unruhestifter, sondern gegen Menschen, die einfach nur einer anderen Religion oder einer anderen Ethnie angehörten. So viel weiter sind wir nicht, wenn man bedenkt, wie viele Flüchtlingsheime brennen.

Aber verlassen wir doch die säkular-demokratische Perspektive und wenden uns der christlichen Perspektive zu:

Das Reich Mohammeds mag uns nicht sympathisch sein, doch das gilt auch vom Reich Nebukadnezars, vom Reich Salmanassers und Sargons und nicht zuletzt vom römischen Reich, wo Christen nur aufgrund ihres Glaubens (bzw. ihrer Weigerung, sich den „Werten“ der Mehrheitsgesellschaft anzupassen und dem Kaiser zu opfern) den Löwen vorgeworfen wurden.

Und was schreibt der Apostel Paulus angesichts dieser Verfolgungssituation?

Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.
Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu.
Denn vor denen, die Gewalt haben, muss man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten.
Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut. (Röm 13, 1-4)

Jede Obrigkeit ist nach dem Apostel Paulus von Gott angeordnet. Und keine Obrigkeit trägt das Schwert umsonst. Das gilt auch vom Schwert Mohammeds.

Wer also den Koran so wortwörtlich liest, daß er mit Sure 5:33 ein Problem hat, der kann als Christ die Bibel nicht anders lesen und dann auch nichts sagen, denn die Strafe gilt denjenigen, die sich gegen die staatliche Ordnung im islamischen Reich des Mohammeds richten, und dieses Reich hat seine Obrigkeit eben auch von Gott, wie auch das römische Reich. Und es führt das Schwert so wie das römische Reich. Ob es dieses Schwert nun nutzt, um Hände und Füße abzuhauen oder ob es das Schwert zum Töten nutzt, ist Sache der Obrigkeit. Diese wird sich auch vor Gott verantworten müssen, aber eben nicht vor ihren Untertanen.

Im Koran stehen also aus heutiger Sicht fragwürdige Dinge. Aber wie ist es mit der Bibel?Sind die Ansichten des Paulus für heute so viel weniger fragwürdig? Diese kritiklose Haltung gegenüber der „gottgegebenen“ Obrigkeit hat unter anderem dazu beigetragen, daß die Kritik der Kirche an Hitler, wo sie überhaupt vorkam, doch sehr verhalten ausfiel – und das bei offen antichristlichen Zielen und Verhaltensweisen!

Unsere westliche Kultur, unsere Werte, all das geht zum Teil auf die christliche Religion und damit auch auf die fragliche Paulusstelle zurück. Auf diesen Fundamenten konnten wir eine freie Gesellschaft aufbauen.

Wieso sollte man mit den ebenso verstörenden Versen des Korans da nicht hinkommen? Wieso sollte die islamische Theologie nicht in der Lage oder willens sein, damit positiv umzugehen, so wie die christliche Theologie es schließlich geschafft hat?

Oder wenn man einem Textfundamentalismus anhängt: Dann muß man eben auch die Demut an den Tag legen, sich der paulinischen Forderung zu beugen. Schließlich ist die Liebe die stärkste Macht, die alles überwindet – und nicht der Haß.

DerKoranvers ist eben genau das: Ein Koranvers. Es kommt darauf an, was man damit macht – was die Muslime damit machen. Sofern er benutzt wird, um Gewalt zu rechtfertigen, haben wir (die) Polizei, die das staatliche Gewaltmonopol durchsetzt – indem sie Gewalttäter im Zweifel mit Gewalt im Zaun hält. Aber eben Gewalttäter, egalwelcher Religion, und nicht Anhänger einer bestimmten Religion,weil man das Vorurteil hat, die Religion mache zum Gewalttäter…

Nachtrag: Erst beim nochmaligen Lesen fällt mir auf, daß zu Verstümmelung und Kreuzigung eine Alternative genannt wird: Die Vertreibung. Das passiert gerade im Syrien, im Machtgebiet von Daesh, die ja meinen, sie würden Mohammeds Reich wieder auferstehen lassen. Und vertrieben werden nicht nur die Ungläubigen, sondern alle, die ihnen nicht passen. Wäre es da nicht umso mehr unsere Pflicht, die Vertriebenen aufzunehmen und uns ihrer anzunehmen, egal welche Religion sie haben? Vor allem, wenn wir den Koranvers kritisieren? Wer sich über den Koranvers beschwert und nichts tun will, um die Leidtragenden aufzunehmen und ihnen aufzuhelfen, wie ernst kann man den eigentlich nehmen?