In diesem Artikel zitiere ich MartinLuther King Jr. Ich fand, seine Beschreibung von Wissenschaft und Religion hat was, weil er auf den Punkt bringt, was beide wollen, wo ihre Stärken liegen und wieso beide wunderbar miteinander vereinbar sind.

Beim nochmaligen Durchlesenist mir jedoch ein Satz ins Auge gesprungen, der mir so nicht recht gefällt:

Science deals mainly with facts; religion deals mainly with values.

Wissenschaft geht vor allem mit Fakten um; Religion geht vor allem mit Werten um.

Ich bin da etwas skeptisch. Geht Religion nicht mit viel mehr um? King schreibt vorher, Religion würde interpretieren. Sie geht also nicht nur mit Werten um, sie kreiert die Werte und Maßstäbe, die sie anlegt selbst. Ich würde so ad hoc sagen, als Quelle dienen ihr dabei das Wissen (für das heute vor allem die Wissenschaft zuständig ist) sowie die Offenbarung. Die Offenbarung allerdings ist nicht Sache der Wissenschaft, sondern des Glaubens, der Religion, der Theologie. Sie ist unverfügbare und damit unreproduzierbare und deshalb nicht mit wissenschaftlichen Methoden untersuchbare Erfahrung.

Und um die geht es in der Religion eben auch, das ist weniger ein Wert, als daß es mit Realität zu tun hat.

Und hier, so fürchte ich, liegt das eigentliche Problem zwischen Religion und Wissenschaft. Interpretationen liefern auch Philosophien, auch davon gibt es mehrere, und sie passen ebensowie Religion wunderbar mit der Wissenschaft zusammen.

Aber Religion hat auch ein gewisses Verständnis von Wirklichkeit, von Realität, das sich nicht zu 100% (natur-)wissenschaftlich erfassen läßt. Dazu gehört etwa dieAuferstehung, die Existenz Gottes, das ewige Leben. Für die (in dem Fall christliche) Religion ist das alles Teil der Wirklichkeit und bestimmt auch dasmaterielle Leben der Christen hier und jetzt. Für die Naturwissenschaft ist das nciht greifbar, außerhalbdes eigenen Beschreibungs- und wahrscheinlich bei Vielen auch Vorstellungsraums. Wer davon ausgeht, daß die Naturwissenschaft, die ja materialistisch arbeitet, weil nur Materie verfügbar ist, theoretisch in der Lage ist, die Welt komplett zu beschreiben, der wird in Religion nur Hirngespinste sehen können, selbst wenn er den Hirngespinsten in der für ihn realen (=materiellen) Welt positive Wirkungen bescheinigen sollte.

Wer sich vorstellen kann, daß die Naturwissenschaft nur einen Teilbereich der Wirklichkeit, der Realität beschreiben kann (den aber verdammt gut) und daß es andere Teilbereiche gibt, wie etwa die der Werte, aber auch die der Offenbarung, dann paßt das alles wunderbar zusammen.

Zu guter Letzt: Es gibt ja auch Philosophien, die Aussagen über die Wirklichkeit trafen. Aristoteles hatte sich zu allem möglichen Gedanken gemacht und sein Weltbild hat die europäischen Wissenschaften anfangs (als sie noch nicht kritisch waren) über Jahrhunderte geprägt. Später, als sie aufgrund neuerer Forschungen nicht mehr haltbar waren, wurde umgedeutet, kamen neue Philosophien auf. So ist das ja auch in der Religion. Auch sie ist flexibel und war es immer. König David kannte keine Trinität, Jesus kannte keine Katechismen und für Paulus war Sklaverei etwas Normales. So wie in der Wissenschaftgibtes auch in der Religion neue Erkenntnisse, neue Ideen, die auf Altem aufbauen und es so deuten, daß es verständlich bleibt.

Durch die – nennen wir es mal „erweiterte Wirklichkeit“ – der Religion im Gegensatz zur Naturwissenschaft ergibt sich natürlich auch eine andere Wertung. Es gibt ja durchaus auch materielle Philosophen, die dann eben ganz andere Werte haben als die Religion sie lehrt. Vielleicht könnte man King variieren, indem man sagte:

Wissenschaft geht mit Fakten um, Religion geht mit der Wirklichkeit um.

Die Werte scheinen mir ein weiterer Block neben der erweiterten Wirklichkeit zu sein. Ob sie abgeleitet sind von der erweiterten Wirklichkeit, oder ob sie unabgeleitet sind,ist mir noch nicht klar. Wenn mir das klar wird,kommt vielleicht ein weiterer Blogpost…

Comments

Comment by Thomas Jakob on 2015-10-13 17:57:56 +0100

Die Aussage von Martin Luther King (Wissenschaft-Fakten, Religion-Werte) finde ich sehr pointiert und gut, dabei gleichzeitig angenehm bescheiden für beide Seiten. Auch damit, dass Religion interpretiert, kann ich viel anfangen. Der religiöse Begriff der Offenbarung ist für mich eine solche Interpretation. Die Bibel ist ein Faktum. Das Verständnis, sie sei oder enthielte eine göttliche Offenbarung oder bezeuge eine Person, in der sich Gott offenbart habe, ist für mich bereits Interpretation.

Wirklichkeit ist für mich etwas, was niemand ganz und ausschließlich für seine Disziplin beanspruchen kann, weder die Religion noch die (Natur-) Wissenschaft. Es gibt mMn eine objektive Wirklichkeit außerhalb von uns Menschen und wir haben alle mehr oder weniger brauchbare Modelle davon im Kopf oder auf Papier. Den Naturwissenschaften gelingt es sehr wirksam, die Qualität ihrer Modelle mit Hilfe technischer Nutzbarkeit und Prognosequalität zu belegen.

Ich habe nichts dagegen, wenn Religion eine im Vergleich zum Objektbereich der Naturwissenschaften erweiterte Wirklichkeit beansprucht, die jeweils nur dem Gläubigen zugänglich ist. Sehr angenehm finde ich es dabei, wenn nicht die Härte des Auftritts und des Wahrheitsanspruchs im Kontrast zur (unvermeidlichen) Weichheit der Wissensbasis steht. Und wenn Religion sich im Objektbereich der Naturwissenschaften zu schaffen macht, passt zwischen mich und einen harten Atheisten kein Blatt Papier.

Comment by De Benny on 2015-10-14 15:52:32 +0100

Und wenn Religion sich im Objektbereich der Naturwissenschaften zu schaffen macht, passt zwischen mich und einen harten Atheisten kein Blatt Papier.

Kann sie ja gar nicht, dann ist es Naturwissenschaft und keine Religion mehr (und in allen Fällen, die ich kenne, eine sehr schlechte Naturwissenschaft).

Religion (na, eher Theologie) rezipiert allerdings die Ergebnisse der Naturwissenschaft insofern, als daß sie ihre eigenen Modelle versucht nicht mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen kollidieren zu lassen (kommt natürllich auch drauf an, was man anerkennt. Die Biblizisen erkennen höchstens Intelligent Design an, aber mit dem kollidieren sie danna uch nicht bewußt).

In dem Sinne hab ich den weiteren Wirklichkeitsbereich gemeint. Naturwissenschaft funktioniert wunderbar in ihrem eigenen Bereich (soweit ich es verstehe): Empirische Meßdaten, die dann gedeutet werden (ups, auch Naturwissenschaft deutet…). Die Religion kann diese Ergebnisse nicht so außer Acht lassen, wie die Naturwissenschaft die Religion außer Acht lassen kann, denn wir leben alle in einer (auch) materiellen Welt…

Comment by Thomas Jakob on 2015-10-14 18:13:41 +0100

Wie war das noch mal mit dem Wunderglauben?

Selbst mit sog. liberalen Theologen stelle ich da immer mal wieder unüberbrückbare Gräben fest.

Comment by De Benny on 2015-10-15 21:01:50 +0100

Ja aber sind Wunder, die *nur* die Grenzen er Naturwissenschaft brechen so spannend? Ich mein, wenn ich von nem Schöpfer als Urgrund des Seins ausgehe, dann muß ich ja geradezu mit Überraschungen rechnen, was das angeht. Das stellt dann aber doch nicht die grundsätzliche Geltung der Naturgesetze in Frage. Diese sind ja auch keine Dogmen im rk Sinn. Wenn öfter mal Leute übers Wasser gehen, machen sich irgendwann irgend welche Physiker Gedanken darüber, wieso das geht…

Comment by Thomas Jakob on 2015-10-16 11:34:33 +0100

Viele biblische Wunder betreffen eben nicht die Grenzen der Naturwissenschaften, sondern Kernbereiche, die heute Schulstoff darstellen. Die Naturgesetze sind etwas anderes als Dogmen, sie sind auch etwas völlig anderes als juristische Gesetze, bei denen Verstöße an der Tagesordnung und Ausnahmen, Amnestien etc. denkbar sind.

Über das Wasser zu gehen, ist übrigens kein großes Thema, die Bedingungen dafür sind relativ genau angebbar. Entweder ist das Wasser gefroren, oder das Gewicht ist so gering, dass die Oberflächenspannung ausreicht, es zu tragen, oder man weiß, wo die Steine liegen.

Comment by De Benny on 2015-10-16 14:42:54 +0100

Entweder ist das Wasser gefroren, oder das Gewicht ist so gering, dass die Oberflächenspannung ausreicht, es zu tragen, oder man weiß, wo die Steine liegen.

… oder die Teilchenbewegung macht grad sonen Zufall daß sich alle Teilchen des Körpers nach oben bewegen…

Es gibt sicher noch tausend andere Erklärungen, auf die wir nicht kommen, weil wir die Voraussetzungen nicht kennen. Aber nochmal: Die Wunder an sich, als Bruch der Kernbereiche der Naturwissenschaft, sind doch recht dröge. Interessant wird es doch erst, wenn darüber hinaus etwas bewirkt wird. Etwa beim Wandeln auf dem See, wo auf einmal jemand auf die Idee kommt, Jesus mehr zu vertrauen als seinen bisherigen Erfahrungen. Und plötzlich sind wir mit dem Vertrauen in einem Bereich, der mit der Naturwissenschaft und ihren Regeln nix mehr zu tun hat.

Comment by Thomas Jakob on 2015-10-16 16:59:10 +0100

Die „drögen“ Wunder sind es aber nun mal, bei denen ich mich eigentlich fragen müsste, ob ich nicht ehrlicherweise entweder aus der Kirche austreten oder mein Diplom zurückgeben sollte. Dass das Vertrauen wichtiger ist, kann ich anerkennen. Trotzdem müssen die Sachfragen für mich beantwortet werden, davor kann ich mich nicht dauerhaft drücken, sonst ist auch das Vertrauen nicht nachhaltig.

Eine ganz andere Frage ist noch, ob die Hardcore-Gläubigen überhaupt einverstanden wären, wenn man eine brauchbare naturwissenschaftliche Erklärung für die biblischen Wunder hätte. Ich vermute, nein, weil ihnen ihre Magie, ihr sog. Übernatürliches dann abhanden käme, und das scheint manchen wichtiger als Wissen und Streben nach Wahrheit zu sein.

 

Comment by De Benny on 2015-10-21 02:10:33 +0100

Die „drögen“ Wunder sind es aber nun mal, bei denen ich mich eigentlich fragen müsste, ob ich nicht ehrlicherweise entweder aus der Kirche austreten oder mein Diplom zurückgeben sollte.

Laß es mich anders ausdrücken: Wenn Westernhagen besingt, wie er frühmorgens von Polizisten aus der Wohnung gezerrt, tagelang verhört wird und seinen Anwalt aus Sicherheitsgründen nciht sehen darf, interessiert Dich dann die Historizität dieser Ereignisse (war Westernhagen je im Knast?) oder iinteressiert Dich, was er damit aussagen will?

Eine ganz andere Frage ist noch, ob die Hardcore-Gläubigen überhaupt einverstanden wären, wenn man eine brauchbare naturwissenschaftliche Erklärung für die biblischen Wunder hätte.

Was ich erlebe ist, daß sie danach streben, ihr Weltbild wissenschaftlich abzusichern, da werden Ergebnisse der Wissenschaft dann auch mal verdreht, bis es passt. Man lehnt im Zweifel die Wissenschaft als Teufelszeug ab, nur um sich auf sie zu berufen, wenn es grad opportun erscheint und die Ergebnisse grad passen, ohne jedoch die Methoden die zu den Ergebnissen führten anzuerkennen.

Ich vermute, nein, weil ihnen ihre Magie, ihr sog. Übernatürliches dann abhanden käme, und das scheint manchen wichtiger als Wissen und Streben nach Wahrheit zu sein.

Ich vermute, sie würden sofort wieder zum Übernatürlichen greifen, wenn es passt. Das ist kein Entweder-Oder, man nimmt das, was man zur Stützung der eigenen Position an Autoritäten verwenden kann. Das hat was mit Autoritätsglauben zu tun. Sie glauben an die Historizität der Bibel, andere an die Wissenschaft, und wenn die Wissenschaft zu gleichen Ergebnissen kommt, müssen die „Atheisten“ halt auch das glauben, was in der Bibel steht…

Im Grunde hat dieser Hardcore-Glaube weder mit Wissenschaft noch mit Glauben viel zu tun.

 

Comment by Thomas Jakob on 2015-10-21 18:03:32 +0100

Laß es mich anders ausdrücken: Wenn Westernhagen besingt, wie er frühmorgens von Polizisten aus der Wohnung gezerrt, tagelang verhört wird und seinen Anwalt aus Sicherheitsgründen nciht sehen darf, interessiert Dich dann die Historizität dieser Ereignisse (war Westernhagen je im Knast?) oder iinteressiert Dich, was er damit aussagen will?

Wenn die Bibel für Kirche und Theologen hinsichtlich ihrer Historizität nicht mehr wert ist als ein Lied von Westernhagen oder, etwas gediegener, z. B. Homers Werke, dann gebe ich zu, dass ich da etwas missverstanden habe.

Im Grunde hat dieser Hardcore-Glaube weder mit Wissenschaft noch mit Glauben viel zu tun.

Und wie siehst Du das z. B. für Karl Barth, der einen Abgleich mit der Naturwissenschaft ja auch strikt abgelehnt hat.

 

Comment by De Benny on 2015-10-31 12:58:58 +0100

Wenn die Bibel für Kirche und Theologen hinsichtlich ihrer Historizität nicht mehr wert ist als ein Lied von Westernhagen oder, etwas gediegener, z. B. Homers Werke, dann gebe ich zu, dass ich da etwas missverstanden habe.

Vielleicht hast Du etwas mißverstanden. Ich kann natürlich nicht für die Kirche sprechen, aber für mich, und ich hab ein Theologie-Diplom, wenn auch kein Gutes.

„Die Bibel“ ist aber, um das Gnze etwas zu differenzieren, ja keine einheitliche Größe. Man muß da immer wieder prüfen, was ist historisch und was nicht. Das wird auch getan mittels der Methoden der historischen Wissenschaft.

Nur ist das ja nur die halbe Miete, wenn überhaupt. Im Grunde geht es doch darum, zu verstehen, was die Autoren und Redaktoren (die vielleicht noch eher) der Bibel mit ihren jeweilgen Werken aussagen wollten – und das ist erst mal IMHO völlig analog zu Westernhagen oder Homer.

Daß es den Bibelschreibern vielleicht um ernstere, existentiellere Dinge ging als Westernhagen, der ja Entertainer ist und neben seinen Überzeugngen und Erfahrungen auch mit einbringt, daß er eben für Geld arbeitet und  der Entertainmentfaktor eine Rolle spielt, sollte man auch nicht außer Acht lassen. Aber die Bibelschreiber lebten ja auch in einer konkreten Situation, und auch sie sind davon beeinflusst in ihrem Schreiben.

Und wie siehst Du das z. B. für Karl Barth, der einen Abgleich mit der Naturwissenschaft ja auch strikt abgelehnt hat.

Meine Vermutung ist, daß ich voll auf seiner Linie bin (obwohl ich mich wohler fühlen würde, wenn ich den Textabschnitt von Barth, uf den Du Dich beziehst, vorliegen hätte, um das zu prüfen). Barth macht, soweit ich ihn kenne, den Unterschied zwischen Gott und Schöpfung immer wieder deutlich. Naturwissenschaft kann nur das beobachten und beschreiben, was der Schöpfung angehört. Die Bibel ist als Buch er Offenbarung Gottes (natürlich je unterschiedlich je Buch oder Buchabschnitt) mit Dingen beschäftigt, die über diese Welt und damit auch über das von der Naturwissenschaft Beobachtbare hinausweisen. Von daher wäre es unsinnig, irgend etwas mit der Naturwissenschaft abzugleichen. Das ist, wie wenn man it einem Zollstock die Temperatur messen will, oder die Zeit. Meßmethode und Meßgegenstand passen nicht zusammen.

Biblizisten (Hardcore-Gläubige) machen aber genau das: Sie nehmen den Zollstock und behaupten, das Ergebnis laute meinetwegen 33° (weil die Temperatur meinetwegen irgendwo steht). Dann nehmen die den gleichen Zollstocj in der Eishöhle, klappen ihn aus, was ihnen wieder gelingt, und folgern messerscharf: 33°…

… und wundern sich über die Erfrierungen, die sie davontragen, weil sie barfuß mit Bermudashorts und Hawaiihemd in der Eishöhle sitzen…

Comment by Thomas Jakob on 2015-11-03 07:36:59 +0100

Apropos Karl Barth: Zitat

„Die Ausrichtung auf die eigene Aufgabe läßt die Theologie jede Rücksicht auf das, was sonst „Wissenschaft“ heißt, unterordnen und nötigenfalls opfern; „sie hat methodisch nicht bei ihnen zu lernen. Sie hat sich nicht vor ihnen zu rechtfertigen“ [!!] (…), auch nicht dadurch, daß sie selbst einen Wissenschaftsbegriff anbietet (…).“ Karl Barth: Kirchliche Dogmatik I/1

Meine Meinung dazu habe ich hier geschrieben:

http://schwerglaeubiger.blogspot.de/2015/09/karl-barth-und-die-zugeschlagene-tur.html

Das Problem der Kirche ist ja auch, dass die Naturwissenschaften sich heute nicht mehr vor ihr rechtfertigen müssen wie zu Zeiten Galileis. Sie müssen nicht mal mehr mit ihr sprechen. Und in der Praxis scheint es mir so oft zu sein, dass sich Naturwissenschaftler, Ingenieure und Techniker die theologische Dialektik zum Thema Wunder eine Weile anhören, sich dann (natürlich nur innerlich und unter Wahrung der Höflichkeit) an die Stirn tippen und abdrehen. Wenn die Kirche dann bei anderer Gelegenheit kommt und z. B. politisch oder ethisch Einfluss nehmen will, wird sie dann eben auch nicht mehr ernst genommen.

 

Comment by De Benny on 2015-11-03 14:19:21 +0100

Das Problem der Kirche ist ja auch, dass die Naturwissenschaften sich heute nicht mehr vor ihr rechtfertigen müssen wie zu Zeiten Galileis. Sie müssen nicht mal mehr mit ihr sprechen.

Ehrlich gesagt halte ich das nicht für ein Problem, ich bin froh darum.

Und in der Praxis scheint es mir so oft zu sein, dass sich Naturwissenschaftler, Ingenieure und Techniker die theologische Dialektik zum Thema Wunder eine Weile anhören, sich dann (natürlich nur innerlich und unter Wahrung der Höflichkeit) an die Stirn tippen und abdrehen.

Ja, aber wieso tun sie das? Interessiert es sie nicht, wie die Wundergeschichten gedeutet werden? Sind sie enttäuscht, wenn jemand wie ich sagt, daß es gar nicht um die historischen Fakten geht, sondern darum, was Autoren und Redaktoren ausdrücken wollten?

Wenn die Kirche dann bei anderer Gelegenheit kommt und z. B. politisch oder ethisch Einfluss nehmen will, wird sie dann eben auch nicht mehr ernst genommen.

Ja, aber war das je anders? Im Jahre 1000 gab es eine Bulle, die feststellte, daß es keine Hexerei gibt und daß jeder, der dies anders sieht, bestraft werden solle. Und später kam es dann – auch in katholischen Gegenden – zu Hexenverfolgungen, auch durch Kirchenleute. (ich befürchte, ich mach grad ein neues Faß auf)

Klar gibt es Kirchenleute, die kann auch ich nicht ganz ernst nehmen, und ja, einige davon sind relativ populär. Als ich diese Woche las, daßPeter Hahne über eine Konversion zum Katholizismus nachdenkt, konnte ich auch nur noch den Kopf schütteln. Nicht, weil ich etwas gegen den Katholizismus hätte (auch wenn die manche Dinge falsch verstehen 😉  ), sondern weil Hahne mir lächerlich vorkommt, weil sich der Text so las, als wolle er die evangelische Kirche erpressen, doch wieder mehr mit seinen Ansichten konform zu gehen, damit er nicht wechselt…

Zu Barth schreib ich dann auf Dienem Blog.

Comment by Thomas Jakob on 2015-11-04 23:10:55 +0100

Ja, aber wieso tun sie das? Interessiert es sie nicht, wie die Wundergeschichten gedeutet werden? Sind sie enttäuscht, wenn jemand wie ich sagt, daß es gar nicht um die historischen Fakten geht, sondern darum, was Autoren und Redaktoren ausdrücken wollten?

 

Ich kann da nur für mich selbst sprechen. Sobald die Kirche da einmal offen, ehrlich und intellektuell redlich ist, bin ich gern dabei. Dafür reicht es nicht, dass einzelne Theologen das tun, wie Bultmann schon vor langer Zeit, der Rest aber parallel Wunderglauben verkauft oder die Lücke durch eine Dialektik zu kaschieren versucht, die schlicht den Intellekt und die Kritikfähigkeit anderer unterschätzt.

Heute wird es meines Erachtens dem einzelnen Laien überlassen, die Lücke zwischen Naturwissenschaft und Wunderglauben irgendwie zu überbrücken. Die meisten verzichten dann gleich ganz oder lassen sich allenfalls zu Kasualien in der Kirche blicken. Die Altersgruppe zwischen 15 und 50 fällt, vor allem bei den Männern, fast komplett aus.

Ich meine, dass mir die Bibel und die Kirche etwas zu sagen haben, und habe wirklich mühselig meinen Weg gefunden. Aber ich muss mich auch immer einmal wieder von meiner Frau, einer katholisch-kirchenfernen Ingenieurin, mit leichtem Kopfschütteln fragen lassen, warum ich mir das überhaupt antue, mich damit immer noch zu beschäftigen.

Comment by De Benny on 2015-11-05 13:54:11 +0100

Sobald die Kirche da einmal offen, ehrlich und intellektuell redlich ist, bin ich gern dabei.

Wer ist „die Kirche“? Bin ich das als Vikar, oder ist das Huber? Ist das Käsmann? Wir sind nun mal evangelisch und haben kein Lehramt, wir haben sogar verschiedene Konfessionen, und jeder steht selbst vor Gott und ist auch selbst verantwortlich…

Heute wird es meines Erachtens dem einzelnen Laien überlassen, die Lücke zwischen Naturwissenschaft und Wunderglauben irgendwie zu überbrücken.

Nicht nur heute, das ist grundsätzlich. Im katholischen Denken konnte man den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen die Dogmen entgegenhalten. Auf protestantischer Seite hat man das versucht (und manche aufklärungsresistente Zeitgenossen machen das weiterhin), aber da gehört dann eben auch ne gehörige Portion Ignoranz dazu.

Bultmann hat meinr Meinung nach auch das Falsche versucht. Der wollte die alten Wundergeschichten übersetzen. Guter Gedanke, aber ich denke, es muß umgekehrt gehen: Den Menschen muß die Sprache beigebracht werden, mit der die Wundergeschichten geschrieben sind (sonst lesen sie sie wie Dokumente der aktuellen Zeitgeschichte und kapieren sie einfach nicht bzw grob falsch).

Jede Übersetzung verliert halt auch immer etwas an Information und ist eine Neudeutung. Oftmals nur ein vergleichsweise fader Abklatsch zum Original…

Die meisten verzichten dann gleich ganz oder lassen sich allenfalls zu Kasualien in der Kirche blicken. Die Altersgruppe zwischen 15 und 50 fällt, vor allem bei den Männern, fast komplett aus.

Freilich, aber was ist die positive Alternative? Ein Lehramt einführen? Du hast ja Recht wenn Du sagst, daß viele Menschen den Bezug zur Kirche verloren haben. Manche bekommen ihn wieder, wenn sie Kinder kriegen. Aber auch da erreicht man nach meiner Wahrnehmung vor allem akademische Familien, die breite Masse fällt raus. Ich habe die Vermutung, daß wir, die Christen (und nicht nur die Kirche als Institution) auch diesen Menschen etwas zu bieten haben. Das Problem ist: Wie sollen die Menschen das herausfinden? Eigentlich müßte man Mission betreiben, aber der Begriff ist auch, wie so viele kirchliche Begriffe, inzwischen für die Menschen unverständlich. Damit werden ganz andere Dinge verbunden, als damit gemeint ist…

Aber ich muss mich auch immer einmal wieder von meiner Frau, einer katholisch-kirchenfernen Ingenieurin, mit leichtem Kopfschütteln fragen lassen, warum ich mir das überhaupt antue, mich damit immer noch zu beschäftigen.

Die Frage kannst Du Dir nur selbst beantworten. Meine Erfahrung bei allen Kämpffen mit der Theologie und noch mehr mit der Kirche ist, daß da für mich doch etwas drinsteckt, was mir real im realen Leben hilft, mir sogar hin und wieder vielleicht das Leben gerettet hat. Es hat für mich auch etwas mit Wahrheit zu tun. Im Glauben finde ich Wahrheit, sonst nirgends. Und um den Glauben in mein Weltbild zu integrieren, damit der nicht wie ein erratischer Block daneben steht, betreibe ich Theologie. Das fand ich für mich so interessant, daß ich es zu meinem Beruf gemacht habe.

Comment by Thomas Jakob on 2015-11-05 22:30:54 +0100

Wer ist “die Kirche”?

Sagen wir mal, die Organisation namens EKD, die z. B. ein Glaubens-ABC ins Internet stellt.

Im katholischen Denken konnte man den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen die Dogmen entgegenhalten.

Das zum einen, aber es gibt dort auch optimistische Versuche wie diesen hier:

»Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, kann mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Gewißheit erkannt werden.« I. Vatikanum unter Verweis auf Röm 1,20

So etwas, ob es jetzt letzendlich stimmt oder nicht, geht die Welt der Dinge wenigstens an und zieht sich nicht von vornherein in geschützten Bereich der inneren Theologie zurück.

Den Menschen muß die Sprache beigebracht werden, mit der die Wundergeschichten geschrieben sind (sonst lesen sie sie wie Dokumente der aktuellen Zeitgeschichte und kapieren sie einfach nicht bzw grob falsch).

Ich sage mal, das geht nicht mehr. Es ist nicht damit getan, Hebräisch oder Griechisch aus Büchern zu lernen. Wenn man nicht mit Haut und Haar in dieser vorwissenschaftlichen Welt lebt mit Tieropfern, Sklaverei, Herrscherwillkür, hoher Sterblichkeit, Ausgeliefertsein an Krankheiten oder irgendwelche Scharlatane und Quacksalber, kommt man da nicht richtig rein, es bleibt ein Film.

Freilich, aber was ist die positive Alternative? Ein Lehramt einführen? Du hast ja Recht wenn Du sagst, daß viele Menschen den Bezug zur Kirche verloren haben.

Vielleicht hat die Kirche den Bezug zu ihren Grundlagen verloren. Vielleicht nimmt sie sich selbst nicht mehr ernst. Vielleicht läuft sie nur noch als steuerfinanzierte Organisation weiter. Unternehmen wird geraten, ihre Strategie und ihre Ziele knapp auf den Punkt zu bringen, um Mitarbeiter und Kunden zu binden und zu motivieren. Kann die Kirche das? Tut sie es? Ich bekomme auf wichtige Fragen zu Grundlagen regelmäßig sinngemäß die Antwort: Der eine sagt so, der andere sagt so. Suchen Sie sich etwas aus! Entscheiden Sie selbst!

Bei solchen Antworten verliere ich irgendwann das Interesse an einem  Gespräch.

Die positive Alternative ist Profilierung, Werbung und Mission. Vielleicht geht das auch nur noch über Pleite und Neustart. Schöpferische Zerstörung, wie es Schumpeter für marktwirtschaftliche Strukturen genannt hat.

Im Glauben finde ich Wahrheit, sonst nirgends. Und um den Glauben in mein Weltbild zu integrieren, damit der nicht wie ein erratischer Block daneben steht, betreibe ich Theologie. Das fand ich für mich so interessant, daß ich es zu meinem Beruf gemacht habe.

Ein frommer Großonkel hat sich das einmal für mich gewünscht und mir das wohl auch zugetraut. Ich hätte es als eine zu frühzeitige Einschränkung meiner gedanklichen Freiheit empfunden. Nach der bereits erwähnten Lektüre von Barths „Einführung“ war ich mir dann ganz sicher, dass ich da falsch gewesen wäre.

Comment by De Benny on 2015-11-06 01:13:05 +0100

Sagen wir mal, die Organisation namens EKD, die z. B. ein Glaubens-ABC ins Internet stellt.

Tja, und die EKD, das sind Gremien, die Konsenspapiere verabschieden. Klare Positionen kann es da schon qua Organigramm kaum geben…

So etwas, ob es jetzt letzendlich stimmt oder nicht, geht die Welt der Dinge wenigstens an und zieht sich nicht von vornherein in geschützten Bereich der inneren Theologie zurück.

Dasmag jasein, aber es ist einfach falsch. Und gefährlich, aus den vorgenannten Gründen.

Wenn man nicht mit Haut und Haar in dieser vorwissenschaftlichen Welt lebt mit Tieropfern, Sklaverei, Herrscherwillkür, hoher Sterblichkeit, Ausgeliefertsein an Krankheiten oder irgendwelche Scharlatane und Quacksalber, kommt man da nicht richtig rein, es bleibt ein Film.

Mein Eindruck ist, daß da durchaus einige mit Haut und Haaren rein gehen. Freilich gibt es (Gott sei dank) auch Ansätze ernsthafter Theologie an früheren Bibelschulen (die jetzt alle Hochschulen heißen wg. Bolognaprozess)…

Vielleicht hat die Kirche den Bezug zu ihren Grundlagen verloren. Vielleicht nimmt sie sich selbst nicht mehr ernst.

Was sind denn die Grundlagen der Kirche? Das ist doch je verschieden. Wir haben ganz viele Traditionen in der evangelischen Kirche und eben grad kein Lehramt. Die EKD Texte versuchen, den Konsens zwischen den verschiedenen Traditionen herzustellen, da kommt dann auch kaum was mit klarer Kante raus. Ob die Kirche ernst genommen wird, muß man von Individuum zu Individuum klären.

Unternehmen wird geraten, ihre Strategie und ihre Ziele knapp auf den Punkt zu bringen, um Mitarbeiter und Kunden zu binden und zu motivieren. Kann die Kirche das?

Prinzipiell vielleicht schon, aber will sie das? Die EKD besteht aus momentan 20 Gliedkirchen, die alle selbständig sind und verschiedenen Konfessionen angehören, in manchen dieser Landeskirchen gibt es sogar mehrere Konfessionen nebeneinander. Dann gibt es in den Landeskirchen Probsteien, Dekanate und Kirchengemeinden, von denen jede Einzelne eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist mit eigener Entscheidungsgewalt in Bezug auf Strategie und Ziele. Die Kirche ist halt kein Unternehmen, deshalb müssen solche Vergleiche, so attraktiv sie auch sein mögen, letztlich scheitern.

Ich bekomme auf wichtige Fragen zu Grundlagen regelmäßig sinngemäß die Antwort: Der eine sagt so, der andere sagt so. Suchen Sie sich etwas aus! Entscheiden Sie selbst!

Bei solchen Antworten verliere ich irgendwann das Interesse an einem  Gespräch.

Aber es ist nun einmal so, daß der eine so sagt und der andere so. Ist es ein Problem, wenn Du Dir eine eigene Meinung bilden mußt und nicht alles vorgekaut kriegst? (sorry wegen der harten Wortwahl, aber ich möchte das verstehen). Wenn Du eine konkrete Meinung suchst, an der Du Dich abarbeiten kannst beim Finden Deiner eigenen Position, dann wende Dich an einen konkreten Christenmenschen. Der kann Dir dann sagen, was er wie sieht und warum. Dazu kannst Du Dich dann verhalten. EKD Texte taugen dazu nicht, weil sie nicht die konkrete Meinung eines konkreten Menschen darstellen, sondern Konsensprodukte sind, mit denen jeder (oder zumindest viele) irgendwie leben können…

Die positive Alternative ist Profilierung, Werbung und Mission.

Comment by Thomas Jakob on 2015-11-07 09:48:36 +0100

Ist es ein Problem, wenn Du Dir eine eigene Meinung bilden mußt und nicht alles vorgekaut kriegst? (sorry wegen der harten Wortwahl, aber ich möchte das verstehen).

 

Mein Problem ist es nicht, mir eine eigene Meinung zu bilden. Da ist über ein paar Jahrzehnte schon einiges zusammengekommen, in unterschiedlichen Härtegraden und Qualitätsstufen. Ich bin auch immer noch neugierig und bereit zu staunen. Aber ich stelle mir seit einiger Zeit auch verstärkt die Frage: Wie passt das alles zusammen?

 

Ich selbst kann in der Theologie schlecht einschätzen, wie die Versatzstücke, die ich im Laufe der Zeit gesammelt habe, sich in ein Gesamtkonzept einordnen. Das erwarte ich aber von akademischer Theologie, wenn sie etwas taugt. Partialtheologien und Ad-hoc-Erklärungen, die jeweils nur bis zu nächsten Ecke reichen, beeindrucken mich wenig. Wie bei anderen fremden Wissensgebieten auch versuche ich zunächst, die führenden Köpfe oder die herrschende Meinung zu identifizieren und mich ggf. von dort aus einzuarbeiten. Wo es so etwas offensichtlich nicht gibt, vermute ich dann auch Abwesenheit von Wissen generell.

Comment by De Benny on 2015-11-07 22:02:26 +0100

Okay, jetzt verstehe ich. Hier im Internet wirst Du wahrscheinlich nicht mehr als Versatzstücke finden, weil die Texte sonst zu lange würden. Da sind dann Bücher besser.

Bonhoeffer scheint Dir ja recht nahe zu stehen, das ist doch was. Barth wohl weniger, da bist Du nicht alleine.

Tillich wäre ein anderer „führender Kopf“, oder Bultmann. Moltmann, Jüngel und Pannenberg wären etwas Neuer. Thieicke, Sölle, Schttroff, Crüsemann…

Es gibt da viele… eine „herrschende Meinung“ wirst Du eher weniger finden im Protestantismus, weil es eben kein Lehramt gibt. Die EKD Texte bieten auch keine herrschende Meinung, sondern stecken vielleicht eher einen Rahmen ab.

Sich da reinzuarbeiten braucht Zeit und Geduld, ich hab nach langem Studium auch nur an der Oberfläche gekratzt. Aber wenn man bedenkt, daß wir ewig leben werden, haben wir ja auch noch jede Menge Zeit 😉

 

 

 

 

Comment by Thomas Jakob on 2015-11-08 14:08:43 +0100

Sich da reinzuarbeiten braucht Zeit und Geduld, ich hab nach langem Studium auch nur an der Oberfläche gekratzt. Aber wenn man bedenkt, daß wir ewig leben werden, haben wir ja auch noch jede Menge Zeit ?

Tja, warten wir einfach auf die Bekanntgabe der Lösung. Ein gewisse Tragik hat es schon. Dann, wenn ich Zeit habe, mir eine befriedigende Theologie zu suchen, brauche ich keine mehr (vgl. 1. Kor 13,12).

Comment by De Benny on 2015-11-08 16:57:18 +0100

Tja, warten wir einfach auf die Bekanntgabe der Lösung.

Das tut ja keiner und kann keiner. Aber es gibt hier auch keine endgültigen, abschließenden Antworten. Das bleibt ein lebenslanges Suchen, und da spielt dann nicht nur die Theologie, die man untersucht eine Rolle, sondern auch deren Wechelwirkung mit dem eigenen Glauben.

Wie das alles zusammenpasst kann Dir keiner letztgültig sagen. Ich kann Dir sagen, wie ich mit bestimmten Dingen umgehe, wenn Du mich was fragst, oder wie ich verschiedene Dinge zusammenbringe. Aber das ist dannauch wieder nur meine individuelle Herangehensweise zu diesem Zeitpunkt…