Bundespräsident Gauck hat bei seinem Besuch in einem Flüchtlingswohnheim den Begriff „Dunkeldeutschland“ benutzt, und zwar in einer Weise, wie ich ihn bisher nicht kannte.

Bisher kannte ich den Begriff als abfällige Bezeichnung für Ostdeutschland, die ehemalige DDR, den Teil Deutschland, in dem die Arbeitslosigkeit höher und die Hoffnung auf eine positive Zukunft geringer ist.

Schon auf diese Weise benutzt drückt der Begriff etwas aus, was zumindest aus meiner westdeutschen Sicht irgendwie greifbar und nicht in Worte zu fassen ist. Es gibt, das ist mein Eindruck, einen gewissen kulturellen Unterschied zwischen Ost und West. Ich habe selbst 5 Jahre in Ostdeutschland gelebt, 3 in Potsdam und 2 in Greifswald, und ich möchte mit meinen Worten erst mal gr keine Wertung ausdrücken, aber als ich damals von Potsdam nach Bielefeld zog – eine Stadt, die historisch eebenfalls zu Preußen gehörte und in der ich vorher nie war – fühlte ich mich heimischer. Obwohl ich wie gesagt als Pfälzer mit Bielefeld so viel oder so wenig verbindet wie mit Potsdam.

Aber irgendwie ist die Stimmung anders, düsterer. Vielleicht liegt das an Erfahrungen wie damals beim Baumblütenfest in Werder an der Havel. Ich war dort mit drei Freunden, zwei davon Chinesen. Und als wir so durch die Stadt gingen, stand da ein Pulk von noch nicht sehr alkoholisierten (war das unser Glück?) Jugendlichen mit kurzen Haaren, Bomberjacke und Springerstiefeln. Und die haben meine chinesischen Freunde angepöbelt. Wir sind weitergegangen und haben uns nichts anmerken lassen. Mein dritter Freund meinte später: „Jetzt sind es keine Vorurteile mehr“.

Diese latente Neigung zum rechten Rand ist mir auch in Greifwald aufgefallen, oder ich hab sie mir zumindest eingebildet. Nicht so sehr in studentischen Kreisen, in denen ich meist verkehrte (dort waren manche allerdings so linksradikal, daß ein anderer Freund von mir als Nazi angefeindet wurde, weil er sich erlaubte manche dummen Parolen von linker Seite in Frage zu stellen, aber das nur nebenbei).

Den Begriff „Dunkeldeutschland“ habe ich also vor allem als Bezeichnugn für diesen Teil Deutschlands gekannt, in dem die Menschen politisch radikaler sind (besser: zu sein scheinen, es ist eine subjektive Wahrnehmung), in dem die Arbeitslosigkeit hoch ist, die Städte und Gemeinden wegen der Abwanderung in den Westen aussterben.

Als Bezeichnung für dieses Phänomen fand ich den Begriff provokant, aber nicht unangebracht, solange damit keine Diffamierung „der Ossis“ verbunden war.

Gauck hat den Begriff jetzt anders gebraucht. Dunkeldeutschland, das steht für die Hetzer und Brandstifter. Für diejenigen, die Angst schüren und Haß verbreiten, die kleine Kinder anpöbeln, auf sie urinieren, die Fremde oder für fremd gehaltene attackieren und ihre Unterkünfte anzünden.

Und so benutzt finde ich den Begriff besser, denn es gibt all das auch im Westen, wenn ich auch hier in der Kleinstadt oder bei meinen Eltern zu Hause noch wenig davon spüre. Heute morgen aber ahb ich vielleicht ein Anzeichen gesehen.

In meiner Nachbarschaft sah ich eine Konförderiertenfahe, die in einem Vorgarten gehißt war. Jetzt kenne ich die Leute, die in dem Haus wohnen nicht, vielleicht sind es Freunde der Dixielandmusik, die sich über die politischen Implikationen dieser Fahne – Sklaverei, Rassismus, Mord und Totschlag – nicht bewußt sind. Die Fahne sah aber relativ neu aus, und es ist ja nicht so lange her, daß in South Carolina ein Streit um die Konförderiertenfahne ausgebrochen ist. Meine Befürchtung ist, daß sich auch hier ein Stück Dunkeldeutschland zeigt, daß die Fahne genau deshalb in dem Vorgarten hängt, weil die Bewohner sich mit der Diskriminierung und der Gewalt gegen andere (in den USA sind die Afroamerikaner ja nicht mal Fremde, sie haben nur eine andere Hautfarbe!) identifizieren. Vielleicht seh ich da mal jemanden stehn und frag ihn nach seiner Haltung zur Dixielandmusik…

Comments

Comment by Thomas Jakob on 2015-08-28 17:41:29 +0100

Der Begriff Dunkeldeutschland ist auch für mich anders besetzt, als Gauck ihn gebraucht hat. Nach dem Durchqueren der DDR auf der Transitstrecke kam immer die Avus in Berlin mit voller Festbeleuchtung. Dieser Kontrast hat sich dann sinngemäß auf alles Rückständige in der DDR und frühen Ex-DDR übertragen. Mittlerweile ist der Begriff aber eigentlich veraltet.

Das Gefühl eines sehr üblen Zeitsprungs habe ich nur einmal im Berliner Umland gehabt, als wir vor Kommunalwahlen dort Sonntagsnachmittags unterwegs waren. Irgendeine rechtsradikale Partei hatte da ein verschnarchtes und  etwas heruntergekommenes Dorf mit Plakaten und Bannern zugepflastert. Alles so 1930er Jahre Schrifttypen, blau und orange, synchron flatternd im Wind, ich hatte den Eindruck, da geht morgen ein Reichsparteitag über die Bühne.

Die Nazis (Neo ist überflüssig, es sind die gleichen Typen) stecken da richtig Geld und Energie rein, treffen da auf Leute, die sich abgehängt fühlen, autoritär ansprechbar sind und weniger als Durchschnittswessis an Ausländer gewöhnt sind, und erzielen Erfolge.

Das Problem ist, dass man den Normalos da trotzdem zuhören muss, weil die eben auch ein paar berechtigte Anliegen haben. Und dass die Grenzen fließend sind. Die Not der Flüchtlinge ist objektiv in aller Regel viel größer. Trotzdem kann da bei gefühlt Abgehängten der Eindruck aufkommen, um die Flüchtlinge kümmern sich jetzt alle (oder machen sich wenigstens öffentlich warme Gedanken) und wir werden vergessen. Das kann ganz schnell Nazipotenzial werden.

Comment by De Benny on 2015-08-29 12:05:39 +0100

Ich hab den Begriff „Dunkeldeutschland“ glaub ich zum ersten Mal beim Studium in Bethel gehört, da fing ich 2004 an, also 15 Jahre nach der Wende.

Du hast Recht, was das Problem mit den Abgehängten angeht. Ich frag mich, wie man die erreichen kann, um ebenfalls Hilfe anzubieten. Aber einfach überall klingeln und fragen: Guten Tag, fühlen Sie sich abgehängt, kann ich Ihnen helfen? wäre dann doch zu übergriffig.

Ich fand Mandys Ansatz, die Leute bei Facebook direkt und offen anzuschreiben ganz gut. Ich hab ja das Problem, daß ich mich im Moment ziemlich stark reinsteigere und so nicht mehr so ganz die Ruhe aufbringe für ein unaufgeregtes offenes Gespräch. Trotzdem denke ich, das Zeil sollte das Miteinander sein, nicht die Aufteilung der Gesellschaft in diverse rechte und linke Parallelgesellschaften.