Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“ (Rö 15, 7)
Diese Jahreslosung für 2015 führt mich zu der Frage, wie Christus uns angenommen hat, wie er Menschen annimmt. Ein Beispiel dafür steht im Johannesevangelium in der Begeg-nung mit der Ehebrecherin. Für die Menschen, die sie vor Jesus bringen, ist der Fall klar und die Steinigung unausweichlich. Sie fragen nicht, weil sie den Rat Jesu hören wollen, sondern weil sie hoffen, seinen Rat gegen ihn verwenden zu können.
Noch bevor Jesus ein Wort mit ihnen spricht, setzt er ein Zeichen. Ich stelle mir vor, dass die Frau in Erwartung der Steinigung vor ihm kauert, denn die Rechtslage ist ja eindeutig. Er aber bückt sich, malt in den Staub, begibt sich hinab zu ihr. Jeder Stein, der jetzt geworfen wird, kann jetzt auch ihn treffen. Ohne ein Wort gesagt zu haben schützt er die
Frau. Er nimmt sie als schutzbedürftigen Menschen an – und in Schutz. Die Annahme eines Menschen kann also bedeuten, sich stumm zu einem Menschen dazuzustellen, um ihn zu schützen.
Doch bei der stummen Annahme und dem Schutz bleibt es nicht. Jesus wendet sich denen zu, die der Frau und ihm Böses wollen. Er nimmt sie und ihre Frage ernst. Mit keinem Wort kritisiert er ihre böse Absicht, die hinter ihren Worten steht. Er schickt sie nicht weg. So nimmt er auch die an, die ihn nicht annehmen. Mit den Worten: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“ stellt er die Schuld der Frau fest – und gibt die Verantwortung für die Steinigung an jeden einzelnen Zuhörer zurück. Keiner könnte später sagen, Jesus habe bedingungslos die Steinigung befürwortet. Auch so nimmt Jesus Menschen an: Er nimmt ihre Fragen ernst und nimmt ihnen die Entscheidung
für ihr Handeln nicht ab.
Doch ich glaube, er wusste genau, welche Folgen seine Worte haben würden: keiner war fähig, nach diesen Worten einen Stein zu werfen. Die Folge war das Leben der Frau. Menschen annehmen, wie Christus uns angenommen hat, kann also bedeuten, sich schützend an die Seite derer zu stellen, die bedroht sind – unabhängig davon, ob sie schuldig sind oder nicht. Es kann auch bedeuten, mit denen, die auf Gesetze pochen, so zu reden, dass neues Leben möglich wird. Es kann bedeuten, mit denen zu sprechen, die andere des Landes verweisen wollen, so zu sprechen, dass sie ihre Herzen weit werden, sie Ängste verlieren und einander annehmen können, wie Christus uns angenommen hat. Die Annahme Jesu hat natürlich noch viel mehr Facetten, genauso wie der Bibelvers. Doch die werden ein anderes Mal beleuchtet.
Comments
Comment by De Benny on 2015-01-07 18:49:38 +0100
Danke für den Gedanken. Daß Jesus die Frau schützt, oindem er sich zu ihr niederkauert, kam mir noch nicht. Ich kenne nur allerlei Spekulationen dazu, was Er da wohl in den Sand geschrieben hat. Danke für diese Perspektivänderung.
Comment by Nordlicht on 2015-01-09 11:30:56 +0100
Der Gedanke mit dem Schutz kommt nicht von mir, den habe ich aus einem Buch von Christian Herwatz 🙂 Aber mir gefiel er so gut, dass er seinen Weg in diese Auslegung gefunden hat.