Ich hatte letztens während eines für mich weniger interessanten Vortrages ein bisschen Zeit zu schreiben und habe mich kurz mit Matthäus 1, 19 beschäftigt: „Josef aber, ihr Mann, war gerecht und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen“. Zu diesem Zeitpunkt weiß Josef noch nicht, dass Maria vom Heiligen Geist schwanger ist, er muss von Ehebruch ausgehen. Doch er will sie nicht in Schande bringen. Er wendet nicht die ganze Härte des Gesetzes an, sondern will einen Weg suchen, die Ehe ohne viel Aufsehen aufzulösen. Freiheit für beide. Freiheit für die Frau, die ihn, wie er glauben muss, betrogen hat. Freiheit statt ganze Härte des Gesetzes. Er stellt seinen Wunsch, Maria nicht in Schande zu bringen, über die kompromisslose Einhaltung des Ge-setzes, anders gesagt: er handelt barmherzig. Dieses barmherzige Handeln stellt Matthäus in Zusammenhang mit Gerechtigkeit bzw. gerecht sein. Die Verbindung von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ist ein gängiges Motiv bei Matthäus. So ist Mt. 1, 19 ein zarter Anklang dessen, was später breit ausgeführt wird, ein leises, vorgezogenes Lob der Barmherzigkeit.

Comments

Comment by De Benny on 2014-02-25 07:28:04 +0100

Spannend. Wobei ich nicht sicher bin, ob jeder versteht, was DU mit „Härte des Gesetzes“ meinst 😉

Comment by Nordlicht on 2014-02-25 10:43:52 +0100

Spannend finde ich es auch 🙂 Der Hinweis in Bezug auf die Härte des Gesetzes ermuntert mich, das nochmal genauer auszuführen: ein öffentlicher Prozess vor allen Verwandten, Freunden und Dorfmitgliedern, der Maria das Leben sicher nicht erleichtert hätte bzw. es möglicherweise durch Steinigung beendet hätte, auch wenn das (soweit ich informiert bin) zu dieser Zeit nicht mehr zwangsläufig durchgeführt wurde. Doch die Drohung hätte wohl im Raum gestanden. Das unter allen Umständen vermeiden zu wollen finde ich barmherzig.

Comment by De Benny on 2014-02-25 11:24:54 +0100

Vor allem, wenn man bedenkt, daß Josef nicht nur wegzieht und alle Bindungen abbricht, sondern auch den Verdacht, der Vater zu sein, auf sich ziehen würde. Das heißt Maria wäre fein raus, Josef wär der Angeschmierte, der die Schuld auf sich zieht, um Maria zu schützen…

Comment by Nordlicht on 2014-02-25 11:51:40 +0100

wenn ich das richtig sehe, verstehst du das „heimlich verlassen“ als (auch) geographische Veränderung Josefs. Ich weiß leider nicht mehr, in welchem Kommentar es war, aber irgendwo habe ich gelesen, dass „heimlich verlassen“ wohl ein Terminus technicus für eine juristische Trennung im sehr kleinen Rahmen war. Wobei ich deine Interpretation durchaus ebenfalls bedenkenswert finde, da sie ja meine Auslegung noch stützt 😉

Comment by De Benny on 2014-02-25 12:42:16 +0100

dass “heimlich verlassen” wohl ein Terminus technicus für eine juristische Trennung im sehr kleinen Rahmen war

Danke für den Hinweis. War mir nicht bewußt. Wenn ich in den griechischen Text sehe, dann ist da von ἀπολῦσαι die Rede, was ja die Scheidung meint. Es geht also vielleicht um die von Mose zugelassene Scheidung (eigentlich setzt Mose sie voraus, siehe 5. Mose 24, der Terminus für den Scheidebrief dort ist übrigens βιβλίον ἀποστασίου, was in Frage stellen könnte, ob es sich um die gleiche Sache handelt) oder, das kommt mir gerade jetzt in den Sinn, einfach um die Auflösung (ἀπολύω paßt da) der Verlobung. Wobei dann wieder die Frage ist, was das „heimlich“ soll…
Bei nem richtigen Scheidebrief nach Dtn 24 hätte Josef ja etwas Schändliches an ihr finden müssen… damit hätte er ja öffentlich gemacht, daß die Schwangerschaft mit ihm nix zu tun hat, und Maria der „Moralpolizei“ ausgeliefert…
Andererseits schient mir „verlassen“ schlecht als Übersetzung gewählt, wissend, daß da eigentlich ἀπολῦσαι steht, was doch eher auflösen oder wegschicken heißt. Also wären beide in Nazareth geblieben, sie wären nicht mehr zusammen gewesen, Maria wäre irgendwann sichtbar schwanger gewesen…
So ganz krieg ich das alles noch nciht zusammen. Ohne das „heimlich“ wär es einfach. Dann wär Josef der Meinung gewesen, Maria hätte was mit nem anderen gehabt und hätte sie öffentlich verlassen. Aber dann paßt Deine schone Interpretation nicht mehr.
Ich vermute aber, daß es irgendwie am „heimlich“ liegt, daß man die Stelle versteht, wenn man den Begriff versteht. λάθρᾳ kommt von λανθάνω, was soviel heißt wie heimlich sein, verborgen sein. Josef schickt Maria also fort, aber nicht so, daß es jemand merken würde… das hört sich für mich wie ein Widerspruch an. Womöglich könnte man das λάθρᾳ auf die Schwangerschaft beziehen. Nein, halt ich seh grad, es ist ein Adverb und kein Partizip… ἀπολύω heißt aber nicht nur scheiden, oder wegschicken, sondern auch vergeben, lösen, oder freigeben.
Vielleicht ist der Gedanke, daß Josef die Verlobung auflösen wollte, aber so tun, als wisse er über die Schwangerschaft nichts. Womöglich ging die Lösung der Verlobung noch ohne „etwas Schändliches“ an der Frau finden zu können? Dann hätte es so ausgesehen, als ob Josef schnell mal Spaß hatte und sie dann sitzen ließ, was womöglich ging, so lange man nicht richtig verheiratet war. Dann hätten alle gedacht, er ist der Böse und Maria das Opfer… Das würde dann wieder passen. Was aber keinen Sinn ergibt ist, daß Josef heimlich, ohne daß die anderen es merken, sich von ihr trennt… Es sei denn es steht der Gedanke an eine Beziehung wie die zwischen David und Michal im Hintergrund (2. Sam 6,23).

Wär interessant, nochmal in den Kommentar zu sehen, den Du erwähnt hast.

Comment by Nordlicht on 2014-02-25 15:23:39 +0100

Es gab hinsichtlich der Schändlichkeit verschiedene Schulen, Schändlichkeit musste nicht unbedingt Ehebruch bedeuten. Vielleicht hätte er einfach einen anderen Grund (sie hat das Essen anbrennen lassen z. B.) gesucht. Dann wäre sie denke ich für andere noch immer „heiratbar“ gewesen.
Das mit dem heimlich trennen: Wenn Maria noch nicht bei ihm gewohnt hat, war vielleicht noch garnicht so offensichtlich, dass sie verlobt waren. Dann wäre es vielleicht einfacher als wir denken, sich heimlich zu trennen. Wenn keiner oder nur wenige wissen, dass man verlobt ist, und man trennt sich ohne große Öffentlichkeit, ist das vielleicht schon heimlich genug.