Mein Herz hält dir vor dein Wort: »Ihr sollt mein Antlitz suchen.« Darum suche ich auch, HERR, dein Antlitz.
Psalm 27,8
Jesus kam heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Seht, welch ein Mensch!
Johannes 19,5
Es ist Karfreitag, Todestag des Herrn, und die Tageslosung handelt davon, des Herrn Antlitz zu suchen. Und der Lehrtext weist auf das Antlitz hin: Das eines geschundenen und gedemütigten Menschen.
Denn spätestens seit Mel Gibsons „Passion“ wissen wir, was vor der Dornenkrone kam: Die Züchtigung, die Folter. Gibson stellte es sehr explizit dar, wofür er stark kritisiert wurde. Im Johannesevangelium steht denn auch nur kurz, daß Jesus gegeißelt wurde (Joh 19,1) und daß die Soldaten ihn verhöhnten und schlugen (Joh 19,3). Man kann es fast überlesen. Ich habe über die Jahre gelernt, Gibsons Film dafür wertzuschätzen, zu zeigen, was man sonst schnell überliest: Das körperliche Leid, das Jesus in diesen Stunden widerfuhr.
Der Psalmbeter des 27. Psalms erhofft sich von Gott Rettung, Hilfe, Schutz. Deshalb will er das Antlitz Gottes suchen. Was wird er denken, wenn sich Gott ihm offenbart als Jesus, als der geschlagene, blutüberströmte Mann, der kurz vor der Hinrichtung am Kreuz steht? Für den es noch weniger Hoffnung gibt als für den Psalmbeter selbst?
Enttäuscht wird er sein. Und enttäuscht waren auch die Jünger.
Jesus war überwunden. Er war tot. Es bestand für Ihn keine Hoffnung, und auch anderen konnte Er keine Hoffnung mehr geben. Wer immer sich zu der Zeit an Gott gewandt hat in der Not, hätte er Gott gesehen, wär er in Verzweiflung gefallen: Gott ist tot. Damit ist kein Schutz, keine Hilfe mehr zu erwarten, muß jeder danach sehen, wo er bleibt.
Damit ist das Chaos ausgebrochen, halten nur noch gesellschaftliche Konventionen einen Rest Ordnung aufrecht, so lange, bis die ersten vor den Konventionen nicht mehr zurückschrecken.
Chaos, Unordnung. Recht des Stärkeren.
Nach all den Ereignissen des Karfreitags lautet die Moral von der Geschicht: Sei einer der Stärkeren, wenn Du bestehen willst.
So steht dann jeder gegen jeden. Chaos.