Thomas Jakob schrieb auf seinem Blog „Schwergläubig“ (lesenswert!) letzten Samstag einen Artikel mit dem Titel „Offenbarung zweiter Klasse“. Darin vergleicht er das Vorgehen der Theologie mit anderen Wissenschaften wie etwa Mathematik und Physik.

Ein etwas längeres Zitat:

Die Naturwissenschaften beschreiben die Natur vielleicht niemals exakt und völlig zutreffend, aber sie nähern sich nach und nach an und haben schon einige sehr gute Ergebnisse erreicht.

Ein Vorgehen analog dem der Theologie würde für mich bedeuten, dass man den Wissensstand von vor 2000 Jahren in einer bestimmten Region der Erde kanonisiert und eingefroren hätte und sich seitdem alles um die Verständnis der in diesem Kanon enthaltenen Schriften drehte. Das Kriterium zur Überprüfung neuer Theorien wäre die Übereinstimmung mit den alten Schriften und nicht die Wirklichkeit selbst im direkten Experiment.

Die Problemstellung ist klar: Hier Kanonisierung in der Theologie, die neue Gedanken nicht zuläßt oder zuindest erschwert, man muß halt immer noch den alten Ballast mitschleppen, dort die Naturwissenschaft, die empirisch forscht und quasi an der Natur selbst belegt, daß sie so falsch nicht liegt.

Ich finde, da liegt ein kleiner Denkfehler vor. Nämlich der, daß man einerseits das Grundlagenmaterial als Kanonisiertes darstellt, das diesen Status vielleicht auch ganz willkürlich zugesprochen bekam, und andererseits nicht in Betracht zieht, ob es sowas auch bei der Naturwissenschat gibt. Lassen wir die Mathematik einmal außen vor, denn die ist keine Naturwissenschaft und bezieht ihre Ergebnisse nicht aus der Natur, sondern wird benutzt um die Natur zu beschreiben, und gehen zur Physik, die tatsächlich empirisch arbeitet. Oder gehen wir noch einen Schritt zurück, wieder zur Theologie und sehen uns den Kanon an.

Dabei handet es sich um Schriften, die immer wieder zu Rate gezgen werden. Manche zählen die Bibel dazu (selbst da gibt es verschiedene Kanones), andere noch die Kirchenväter und wieder andere auch Leute wie Martin Luther oder Dietrich Bonhoeffer.

Manche dieser texte berichten Erlebnsse mit Gott. Man kann sie wörtlich oder im übertragenen Sinn verstehen, aber man läßt sie in der Theologie selten außen vor. Der Grund dafür mag darin liegen, daß heutige Christen (und bei anderen Religionen, Thomas nennt auch Judentum und Islam, analog) es so verstehen, daß sie den gleichen Glauben haben wie die Autoren jener Schriften. Die Gaubenserlebnisse, die in den Schriften erzält werden, gehören also in genau die selbe Glaubenswelt, die der Gläubige hat. Sie müssen auf irgend eine Weise Sinn ergeben können, sonst ist der Glaube ein anderer. Man verließe quasi die Theologie und würde nur noch verschiedene Glaubensauffassungen – aktuell und historisch – nebeneinanderstellen. Das macht meine ich die Religionswissenschaft.

Jetzt aber zur Physik. Auch dort wird ja nicht alles aus dem hohlen Bauch herexperimentiert. Verschiedene Experimente, also Erfahrungen, werden miteinander in Beziehung gesetzt, es wird versucht ein Modell zu finden, bei dem alles zusammen irgendwie Sin ergibt. Insofern nichts viel anderes als das, was die Theologie macht, nur daß deren „Meßergebnisse“ mehrere tausend Jahre alt sind, in einem Buch stehen un erst einmal aus einer nicht mehr ganz so gut verständlichen Sprache übersetzt werden müssen. Die Physik nimmt ihre Erkenntnis aus Erfahrungen aus der Natur, die sie zueinander in Beziehung setzt, so wie die Theologie ihre Erkenntnisse aus Erfahrungen mit Gott nimmt. Davon sind einige „in der Natur“ machbar, also im Hier und Jetzt, andere finden wir aufgeschrieben in alten Büchern. Dabei hat die Theologie sicherlich das Problem, daß sie mit subjektiven „Messungen“ umgehen muß, wo die Physik objektiver die Natur vermessen kann. Jedoch geht es bei der Theologie auch nicht um etwas Natürliches, sondern um etwas Übernatürliches, dem man mit Objktivität schwer beikommen kann. Da kann man nur sammeln, was als Offenbarung angesehen wurde und für sich selbst entscheiden. Entscheidet man, Bibel, Talmud oder Koran zu verwerfen, dann stellt man sich eben außerhalb dieser Religionen, ebenso wie man sich außerhalb der Physik stellt, wenn man bisherige Meßergebnisse nicht anerkennt. Man kann sicher auch alles selbst machen, seine eigene Physik betreiben, und ist am Ende irgendwo Anschlußfähig an den Mainstream, weil die Natur ja – wenn es stimmt – sich in ihrer Physik wenig ändert. Äpfel fallen nach unten.

Ebenso müßte der Theologe, der die heilige Schrift verwirft, nachdem er seine eigenen Erfahrungen mit Gott gemacht hat, bei der „wahren Religion“ (welche auch immer das sei, aber ich denke der Protestantismus hat gute Chancen, sonst wär ich nicht Protestant ;)) rauskommen, bzw zu deren Lehren anschlußfähig sein. Hier liegt das Problem in der Subjektivität und der fehlenden Möglichkeit, die Ergebnisse objektiv zu verifizieren. Gott hat sich bisher nicht vermessen lassen. Trotzdem können wir mit Seiner Offenbarung wissenschaftlich umgehen, so lange wir uns bewußt sind, was wir tun. Wir beschreiben nicht die Natur, sondern Gott, bzw nicht mal Den, sondern Seine Offenbarungen, bzw das, was wir in der jeweiligen Religionsgemeinschaft dafür halten. Mehr können wir nicht leisten, aber mehr müssen wir auch nicht leisten.

Comments

Comment by Thomas Jakob on 2013-01-15 21:38:20 +0100

Sehr interessante Entgegnung! Ich werde mir das mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und später etwas dazu schreiben. Was mir spontan einfällt, ist, dass ich schon mehrfach Menschen getroffen habe, die fanden, dass allen Großreligionen ein gemeinsamer Wahrheitskern zugrunde liegt. Alle Versuche, diesen zu formulieren, sind aber wohl gescheitert, weil sie so abstrakt werden, dass niemand mehr etwas damit anfangen kann.

Comment by Bundesbedenkenträger on 2013-01-16 08:52:48 +0100

Es liegt wohl auch daran, daß die Anhänger der jeweiligen Religionen ja auch darauf bedacht sind, ihre Richtung als letztlich doch anders darzustellen. Wären sie davon nicht überzeugt, dürften sie auch keine Anhänger dieser speziellen Gruppe sein, sondern eben einer neuen, inklusiveren Richtung. Es gibt jedoch auch Versuche, andere Richtungen dadurch zu vereinnahmen, daß man sagt: Jaja, ist bei uns auch so. Dann kommt aber gleich die jeweilige zusätzliche Lehre hinterher. Ich finde, das ist ganz natürlich. Es liefert aber auch den Grund, wieso es Theologie nach Konfessionen getrennt gibt, und nicht nur ein Fach „Theologie“. Hängt halt mit der vom Fach nicht zu trennenden Subjektivität zusammen. Das muß aber kein Problem sein, wenn man sich der Implikationen bewußt ist. Physik ergibt ja auch nur einen Sinn, wenn man davon überzeugt ist, daß es eine Physis gibt…

Comment by Thomas Jakob on 2013-01-16 20:17:19 +0100

Zum Thema Kanon: Unter Kanon habe ich die Auswahl der biblischen Bücher verstanden. Ob da jetzt die katholische oder die Luther-Auswahl genommen wird, ist mir nicht so wichtig, jedenfalls gehören keine später entstandenen oder gefundenen Schriften dazu.

Ein solcher Kanon existiert in der Physik nicht. Dort ist das Bessere immer der Feind des Guten. Auch lange bewährte Weltbilder, Theorien und Modelle werden ad acta gelegt, sobald sich etwas Einfacheres findet. Beispiele sind das Ptolemäische Weltbild oder der Huygenssche Lichtäther.

Comment by Thomas Jakob on 2013-01-16 20:21:07 +0100

Du schreibst: „Wir beschreiben nicht die Natur, sondern Gott, bzw nicht mal Den, sondern Seine Offenbarungen, bzw das, was wir in der jeweiligen Religionsgemeinschaft dafür halten. Mehr können wir nicht leisten, aber mehr müssen wir auch nicht leisten.“

Dem Satz habe ich eigentlich nicht viel hinzuzufügen. Wenn man davon ausgeht, dass alles, was aktiv erforschbar und erkennbar ist, eben nicht Gott, sondern aus dem Nichts Geschaffenes bzw. Welt ist, wenn man Offenbarung im Gegensatz dazu definiert als einseitig von Gott ausgehend und (aus christlicher Position) in Jesus Christus unüberbietbar geschehen, wenn man ferner den biblischen Kanon als das in Wechselwirkung mit der Urkirche herausgefilterte Urzeugnis annimmt, an dem man sich zwingend zu orientieren hat, dann hat man den Gegenstandsbereich der (christlichen) Theologie in etwa so eingegrenzt, wie es wohl heute üblich ist.

Vielleicht ist es auch klug so, weil man bei einer Öffnung der Beliebigkeit und Scharlatanerie zu viel Raum gäbe.

Andererseits stecken eben in der obigen Definition auch mehrere Dogmen. Wenn ich der Auffassung bin, dass Gott der ganz Andere ist, über den ich letztlich nichts verbindlich aussagen kann, was gibt mir dann eigentlich die Sicherheit, dass Gott keine neuen und aktuellen Offenbarungen mehr gibt?

Wenn ich der Auffassung bin, dass ich vielleicht nicht von Gottes Wesen, aber sehr wohl von seinen Wirkungen sprechen kann, und dass solche Wirkungen auch heute auftreten, warum sollte ich dann diese Wirkungen nicht systematisch und wissenschaftlich beschreiben?

Comment by Bundesbedenkenträger on 2013-01-16 21:28:40 +0100

Danke für Deine Kommentare.
Zum Thema Kanon: Du setzt die Theorien und Modelle der Physik dem Bibelkanon gleich. Wieso dies? Wieso tust Du das nicht mit den theologischen Theorien und Modellen, wie Satisfaktionslehre, Ganztodtheorie etc etc? Wieso diese Parallelisierung mit dem Kanon?
Mein Gegenvorschlag ist ja der Folgende: Setz den Kanon doch mit älteren Messergebnissen gleich. Auch diese verändern sich ja nicht. Wenn vor hundert Jahren bestimmte Wetterwerte gemessen wurden, dann müssen die auch noch in heutige Modelle der Wetter- und Klimaforschung passen. Man sagt nicht einfach: Diese alten Messungen interessieren mich nicht. Man hält sie nicht für irrelevant. Würde ein Modell nur neueren Messungen gerecht werden, die älteren Messungen aber krass rausfallen (und zwar weiter als durch damals ungenauere Meßmethoden bedingt), wäre auch eine neue Theorie fragwürdig, oder nicht? Nun gibt es meines Wissens nach keine alten Messungen in der Physik oder sonst einer Naturwissenschaft, die krass rausfallen würden. Das macht es vielleicht so schwierig, den Vergleich nachzuvollziehen. Deshalb nochmal die Ausgangsfrage: Wieso Kanon mit Theorie gleichsetzen und nicht Theorie mit Theorie?

Vielleicht ist es auch klug so, weil man bei einer Öffnung der Beliebigkeit und Scharlatanerie zu viel Raum gäbe.

Ich frag emich, wie eine Öffnung aussehen sollte, die nicht eine Wissenschaft (die die Theologie ja ist) in eine willkürliche Ansammlung von Behauptungen überführt. Daß ich das nich sehe kann durchaus an mir liegen. Aber ich denke, um etwas erforschen zu können, muß man dieses zu Erforschende in irgend einer Weise vorliegen haben. Die Physiker haben die Natur vorliegen, die Biologen lebende Wesen, die Geologen die Steine usf. Und die Theologen haben eben die entsprechenden Gottesoffenbarungen. Es wäre eine interessante Frage zu überlegen, ob es auch bei Nichtoffenbarungsreligionen entsprechende Theologien geben kann, wobei sich dann auch die Frage stellt ob es überhaupt Religionen ganz ohne Offenbarung gibt. Ich schweife ab.

Natürlich haben verschiedene Menschen verschiedene Gottesoffenbarungen, in Abhängigkeit von ihrer Religion und auch anderen Faktoren. Deshalb gibt es nicht „die Theologie“, sondern nur konfessionel gebundene Theologien, und nähme man es ganz genau, müßte man wohl davon sprechen, daß jeder Mensch seine eigene Theologie hat.

Andererseits stecken eben in der obigen Definition auch mehrere Dogmen. Wenn ich der Auffassung bin, dass Gott der ganz Andere ist, über den ich letztlich nichts verbindlich aussagen kann, was gibt mir dann eigentlich die Sicherheit, dass Gott keine neuen und aktuellen Offenbarungen mehr gibt?

Das ist jetzt schon eine Frage der innertheoogischen Auseinandersetzung. Soweit ich das sehe werden oder wurden innerhalb der evangelischen Theologie beide Thesen vertreten.

Wenn ich der Auffassung bin, dass ich vielleicht nicht von Gottes Wesen, aber sehr wohl von seinen Wirkungen sprechen kann, und dass solche Wirkungen auch heute auftreten, warum sollte ich dann diese Wirkungen nicht systematisch und wissenschaftlich beschreiben?

Ich wüßte nicht, was dagegen spräche, den Versuch zu wagen. Interessant wäre es auf alle Fälle. Man wird wohl damit leben müssen, wenn als Ergebnis herauskommt, daß entweder alles auf Gottes Wirken zurükzuführen ist, oder auch nichts. Ich sehe momentan nicht, wie man so etwas anfangen könnte, ohne in einen Zirkelschluß zu geraten und ohne das Fach zu wechseln und einfach religionswissenschaftlich zusammenzutragen, was welche Menschen als Gottes Wirkung ansehen.
Mir ist nicht klar, was genau Du systematisch und wissenschaflich beschreiben willst? Das, was Du vorher schon einer gewissen Systematik folgend als Gottes Wirken definiert hast?Dann solltest Du am Ende auf Deine anfängliche Systematik stoßen…

Comment by Thomas Jakob on 2013-01-17 21:00:47 +0100

Ach, so meinst Du das mit dem Kanon. Das habe ich schlicht anders verstanden. Ich halte es auch für überdehnt, den Inhalt der Bibel mit Messwerten zu vergleichen. Selbst bei einem weit verstandenen Messwertbegriff könnte dieser m. E. nur Fakten abdecken, z. B. Jesus stammte aus Nazareth, ging über das Wasser, heilte Kranke usw. In der Bibel steckt aber eben auch jede Menge theologische Theorie, z. B. im Römerbrief oder Hebräerbrief. Es werden Zusammenhänge und Erklärungen dargestellt, Fakten miteinander in Beziehung gesetzt, Regeln abgeleitet. Das kann man nicht mehr als nur Messwert deuten.

Jetzt die andere Seite: Selbst wenn man den Kanon der Physik auf alte Messwerte beschränken würde, wäre die Situation anders als beim biblischen Kanon. Von bestimmten Ausnahmen abgesehen – die von Dir genannten alten Wettermessungen sind eine – spricht nichts dagegen, anstatt einer alten aufgezeichneten Messreihe eine neue zu verwenden. Es gäbe z. B. keine Verpflichtung, zur Bestimmung der Erdanziehungskraft auf die Ergebnisse der Fallversuche von Galilei zurückzugreifen. Reproduzierbarkeit von Messergebnissen ist sogar ein Qualitätsmerkmal.

Stichwort Öffnung der Theologie: Letztlich ginge es darum, auch neuere Offenbarungen zuzulassen, diese in den Objektbereich aufzunehmen. Das wäre schwierig, weil ich mir kaum Kriterien vorstellen könnte, dort die Spreu vom Weizen zu trennen. Es wäre in dieser Hinsicht z. B. ein interessanter Test, zu versuchen, christliche Theologie mit dem Koran oder dem Buch Mormon zu konfrontieren, als wären diese anerkannte Offenbarungen.

Im Gegensatz zur Theologie ist der Objektbereich der Naturwissenschaften weniger abgeschlossen. Die Biologie entdeckt immer wieder neue Spezies. In der Physik versucht man gerade, in immer neue Bereiche vorzudringen, um die bekannten Theorien zu testen und möglichst sogar zu widerlegen. Widersprüche werden gesucht und sind willkommen, um die Wissenschaft weiterzuentwickeln.

Bei vielen Theologen habe ich den Eindruck, dass sie ganz anders arbeiten. Man hat einen Kanon biblischer Bücher, die von ganz verschieden denkenden Menschen aus ganz verschiedenen Zeiten stammen. Die theologische Kunst besteht nach meinem persönlichen Eindruck darin, das alles samt vielen Widersprüchen und Ungereimtheiten auf Biegen und Brechen irgendwie verbal zu integrieren. Obendrein muss man den immer breiter werdenden Graben zur Jetztzeit überbrücken. Diese integrativen Leistungen sind tlw. beachtlich und qualifizieren auch für viele andere Lebensbereiche, aber Leute wie ich, die Widersprüche gerne pointieren, haben damit ihre Schwierigkeiten.

Stichwort: Wissenschaftliche Beschreibung von Gottes Wirkungen. Darunter stelle ich mir solche Dinge vor wie Untersuchung der Wirksamkeit von Gebeten, Vergleich von Zufriendenheit, Zuversicht und ethischem Verhalten und tätiger Nächstenliebe zwischen Christen und Nichtchristen, aber auch neutrale Untersuchung von Wundern verschiedener Art.

Comment by Bundesbedenkenträger on 2013-01-17 22:24:32 +0100

Fangen wir hinten an: Beschreibung von Gottes Wirken: Man hat halt keine Laborbedingungen. Wobei, die hat man in den Sozialwissenschaften auch kaum. Allerdings wird auch nicht behaupet, daß Gebete erhört oder auf eine bestimmte Weise erhört werden.
Zufriedenheit und dergleichen wird ja immer wieder untersucht, mit wechselnden Ergebnissen. Das ist dann aber halt keine Theologie, sondern Religionswissenschaft bzw. Soziologie. 😉
Und Wunder, naja. Was ist denn ein Wunder? Doch ein Phänomen, das man (noch) nicht erklären kann. Wissenschaftliches Denken geht aber dann IMHO eher den Weg, dann die Erklärung zu suchen, also das Wunder zu entmythologisieren…

Was die Vergleiche mit Koran und Buch Mormon etc angeht sehe ich immer noch nicht den Unterschied zu dem, was die Religionswissenschaft tut. Diese erwuchs zwar aus der Theologie, genauer aus der Missionswissenschaft (man wolle halt wissen wie die anderen so ticken, um ihnen das Evangelium besser näherzubringen), aber ist inzwischen durchaus eine eigene Wissenschaft.

Was den Objektbereich angeht: Hier habe ich eine etwas andere Ansicht. Die Bibel wird zwar überall hochgehoben und gewürdigt, trotzdem wird auch anderes gelesen und ausgewertet, von den Kirchenvätern über die Theologen des Mittelalters, Luther, Schleiermacher bis zu Bultmann, Barth und was es heute so gibt. Wobei meist die älteren Schriften, vor allem die Bibel, mehr gelten, während in den Naturwissenschaften neuere Messungen höher angesehen werden als Galileis Messungen. Allerdings gibt es auch eine Problematik, die die Naturwissenschaft so nicht kennt (wenn ich mich nicht irre): Die Naturwissenschaft weiß immer recht genau, wenn sie ein Forschungsobjekt vor sich hat. Wenn da ein Vogel rumfliegt gehört der in die Biologie, wobei sich die Physik wohl auch für seinen Flug interessiert usf. Wenn es aber einen Text gibt von dem behauptet wird, daß es sich um eine Gottesoffenbarung handelt, kann man das glauben oder nicht. Es gibt keine objektive Methode, das entscheiden zu können. Und ich meine, die kann es auch nicht geben. Subjekti kann man sicherlich sagen, daß man dem ienen den Offenbarungsrang zuweist, dem anderen aber nicht. Daher igbt es hier auch keine Reproduzierbarkeit.
Das Problem löst die Theologie dadurch, daß sie konfessionell auftritt. Je nach Konfession ist vorher festgelegt, was als Offenbarung gelten kann und was nicht. Und das wird dann innerhalb des Fachs auch heiß diskutiert, aber im großen und Ganzen führen gegensätzliche Ansichten zu einem neuen Fach, so gibt es heute, nachdem Luther und Konsorten alles außer der Bibel abgewertet hatten, eben neben der katholischen auch eine evangelische Theologie.

Der Messwertbegriff schließlich ist vielleicht nicht so geschickt gewählt, aber mir fällt immer noch nichts besseres ein. Mir geht es dabei auch nicht darum, Fakten aufzuzählen, so wie die Messwerte in Physik etc. Vielleicht sollte man von Quellen reden, die interpretiert werden müssen. Die Bibel als Sammelsurium von Gottesoffenbarungen besteht aus Texten, in welchen die Erfahrungen von Menschen mti Gott tradiert wurden. Diese Erfahrungen sind durchaus subjektiv und bedürfen daher der Interpretation. Nichtsestotrotz bedürfen auch die Messwerte der Physik der Interpretation, wenn sie Sinn ergeben sollen, so wie alle anderen Quellen in welcher Wissenschaft auch immer.

Man könnte vielleicht, aber das wäre dann nicht Sache der Theologie sondern der Kirche als der Gemeinschaft der Gläubigen, eine neue Bibel rausbringen mit aktuellen Geschichten von Gotteserfahrung. Diese könnte man dann ebenso auslegen, interpretieren etc wie die alte Bibel. Es ergäben sich aber auch praktiche Probleme: Zum einen gewährleistet der Bezug auf die alte Bibel den Zusammenhang zwischen allen christlichen Konfessionen, so sehr sie auch untereinnander zerstritten sind. Eine neue Bibel würde hier zu unnötigen Spaltungen führen. Zum anderen müßte irgendwie gewährleistet werden, daß die neue Bibel nich vol ist von Hirngespinsten, also falschen Offenbarungen. Diese Gewissheit haben wir bei der alten Bibel objektiv auch nicht, aber sie wurde solange benutzt, daß Millionen von Menschen sich auf sie bezogen und darin ihren Glauben wiederfanden. Mit Benutzung der alten Bibel bleibt man im Zusammenhang mit den Generationen vor uns, was den Glauben angeht. Trotzdem besteht die Möglichkeit natürlich, hier an der Offenbarungsschraube zu drehen. Dann hätte man quasi neue Messwerte, neue Quellen, neue Gotteserfahrungen und -offenbarungen.

Womöglich könnte man sogar ne Methode für sowas wie Reproduzierbarkeit einführen, wobei sich weiterhin das Problem stellt, daß man in der Naturwissenschaft aktiv ein Experiment durchführt und zu Messungen kommt, während man auf der anderen Seite Gott passiv erfährt, und einem so ganz schlicht die Kontrollierbarkeit fehlt. Und man kann natürlich auch nichts reproduzieren, was man nicht vorher mindestens produzieren konnte.