Nach längerer Pause nun mal wieder ein kurzer Kommentar zur Tageslosung
Gott der HERR rief dem Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? Er sprach: Ich hörte dich im Garten; da fürchtete ich mich. 1.Mose 3,9.10
Die vorangehende Situation in aller Kürze (ausführlicher hier): Gott hat Adam und Eva geschaffen und ihnen im Garten Eden ein Zuhause gegeben. Dort dürfen sie von allen Früchten der Bäume essen – nur von einem nicht, dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Sie halten sich nicht daran und essen davon. Im Allgemeinen ist die Auffassung: Adam und Eva wollten sein wie Gott, dieser Ehrgeiz führte zur 1. Sünde. Ich möchte mal versuchen, einen anderen Akzent zu setzen, ohne die „Ehrgeizauslegung“ deshalb abzulehnen.
Die ersten Worte, die Gott zum Menschen spricht, sind Anordnungen:
„Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben“
Wenn ich mich an Anordnungen erinnere, die ich von meinen Eltern oder anderen auferlegt bekam, fällt mir eins auf: Völlig gleichgültig, wie gut gemeint sie waren bzw. wie sinnvoll sie auch tatsächlich waren, regte sich doch zuerst Widerspruch. Bei kleinen Kindern ist das immer wieder gut zu beobachten: Dem Kind fallen die Augen schon fast von selbst zu, dennoch wird gegen den Satz: „Ich glaub, du solltest langsam mal ins Bett“ (oftmals) Einspruch eingelegt: „Ich bin aber doch (gäääähn, blinzel) noch garnicht müde!“ Man kann also den Widerspruch gegen Anordnungen durchaus als menschliche Grunderfahrung ansehen. Vielleicht ist es auch diese menschliche Grunderfahrung, die mit dem Verzehr der verbotenen Frucht dargestellt werden soll: Wo Anordnungen gegeben werden, kommt Widerspruch, manchmal in wörtlicher Form, hier in Form des Essens – vorgesehen aber ist dies nicht.
Das Ergebnis des Essens ist: Feigenblattoutfit, Furcht, Fragen. Als Gott dann abends im Garten umhergeht, verstecken sich die Menschen. Und Gott fragt: „Wo bist du?“ Es ist die erste von drei Fragen. Man kann diese Frage nun so verstehen, dass Gott diese Frage tatsächlich um der Information willen gestellt hat, weil er tatsächlich nicht Bescheid wusste. Die Verfasser des Textes würden dann einen Gott schildern, der nicht allwissend ist – und damit seine Allmacht in Frage stellen. Angesichts dessen, dass die Verfasser des Textes Gott zuvor noch als Schöpfer von Himmel und Erde, Menschen, Bäumen und Tieren schildert (Vgl. Gen 2. 4 ff) erscheint es mir unwahrscheinlich, dass sie von dieser Vorstellung göttlicher Macht nun abrücken.
Fragen aber können mehr sein als bloße Informationsabsicht. Im Gegensatz zur Anordnung ist bei der Frage eine Antwort (meist) fest eingeplant. Es ist deutlich, dass hier ein Dialog gewünscht wird. Gott wird in dieser Geschichte als der gezeigt, der sich angesichts von Sünde (Verhalten, das von Gott trennt, in der Geschichte dadurch verdeut-licht, dass sich Adam und Eva verstecken) eben nicht beleidigt zurückzieht. Er beginnt auch nicht mit Vorwürfen, die einen weiteren Dialog erschwert hätten. Er beginnt mit einer Frage. Diese Frage zeigt an: Antwort erwünscht, ich will mit dir in Beziehung treten! Und Adam antwortet: „Ich hörte dich im Garten, da fürchtete ich mich“. Haben die Verfasser Adam nun als genauen Zuhörer darstellen wollen, der hinter der Frage „Wo bist du?“ die Frage „Was ist los?“ herausgehört hat? Oder wollten sie zeigen, dass der schuldige Mensch einfachste Fragen nicht genau beantwortet? Denn auf die Frage „Wo bist du?“ mit „Ich habe mich versteckt“ zu antworten, kann wohl kaum als genaue Antwort verstanden werden. Ich glaube, über diese Frage könnte man lange streiten. Ich möchte aber zum Schluss nur noch einmal herausstellen, was mir an diesem Vers wichtig geworden ist:
Gott schweigt angesichts von Schuld nicht. Er geht den Menschen nach und sucht weiterhin Beziehung zu ihnen. Und mit Adam und Eva fragt er auch uns immer wieder neu: „Wo bist du?“.
Comments
Comment by Bundesbedenkenträger on 2012-06-12 14:06:01 +0100
Die Verfasser des Textes würden dann einen Gott schildern, der nicht allwissend ist – und damit seine Allmacht in Frage stellen. Angesichts dessen, dass die Verfasser des Textes Gott zuvor noch als Schöpfer von Himmel und Erde, Menschen, Bäumen und Tieren schildert (Vgl. Gen 2. 4 ff)
Schöpfer von Himmel und Erde im zweiten Schöpfngsbericht? Da mß ich etwas verpasst haben. Und auch den Garten planzte Gott ja, wenn ich es richtig im Kopf habe… ein Allmachtsgedanke kommt da eher im ersten Schöpfungsbericht vor.
Aber Du brauchst diese Krücke gar nicht, um die Frage Gottes als Beziehungsaufnahmestreben wahrscheinlich zu machen. Selbst wenn Gott nicht wüßte, wo Adam ist, zeigt es, daß Er die Beziehung halten will, wo der Mensch sie lieber mal abbrechen lässt, um sich aus der Affäre zu pissen.
Vielleicht ist diese Unklarheit, ob Gott es nun weiß oder nicht, auch vom Autor intendiert. Entweder, man kann Gott so einschätzen, daß Er sehr wohl weiß, was geht, oder aber man meint, Er hat auch nicht den Durchblick und lebt weiter, als ob es Ihn nicht gäbe.
Interessant ist ja, daß Adam trotzdem antwortet, sich also aussetzt, auch eine möglichen Strafe. Die Beziehung kommt also wieder zu Stande. Was, wenn er nicht geantwortet hätte, sondern im Versteck geblieben wäre?
Deine Auslegung ist jedenfalls sehr interessant und wirft mal ein anderes Licht auf die Geschichte, als die ständige Sündenfall-Schablone.
Comment by bonifatz on 2012-06-12 14:59:09 +0100
Zugegebenermaßen, über Schöpfer von Himmel und Erde im 2. Schöpfungsbericht kann man streiten. Da ich die Verseinteilung jedoch für ziemlich willkürlich halte, neige ich dazu, den Schluss vom 1. Schöpfungsbericht in V. 4 zu sehen: „So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden“ und den 2. Versteil „Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte“ als Beginn des 2. Schöpfungsberichts. Demnach wäre auch im 2. Schöpfungsbericht von Gott als Schöpfer von Himmel und Erde die Rede. Da hast du also (wenn du dich der Sichtweise anschließt) wirklich was verpasst 😉 Natürlich ist die Schöpfung durch Gott im 1. Bericht ein wenig eindrucksvoller, weil eben alles durch Worte geschieht. Doch dass Gott allmächtig ist, steht denke ich auch im 2. Schöpfungsbericht nicht in Frage. Aber ich schätze, da sind wir ohnehin einer Meinung, da du ja schreibst, der Allmachtsgedanke käme eher im 1. Schöpfungsbericht vor, was ja nicht ausschließt, dass er auch im 2. vorkommt.
Mir hat es übrigens auch gefallen, mal ein wenig abseits der gängigen Sündenfallschablone auszulegen 😀 Ich glaube, es könnte sehr spannend sein, sich intensiver mit den Kommunikationsvorgängen in der Urgeschichte zu befassen. Denn auch in der Geschichte von Kain und Abel spielen die Fragen Gottes eine wichtige Rolle. Aber dazu dann vielleicht mal mehr in einem Beitrag dazu 🙂