„Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blätter verdorren nicht.“
Mit dem „Er“ ist derjenige gemeint, der „Gefallen hat am Gesetz des HERRN und sinnt über sein Gesetz bei Tag und bei Nacht“ (Vgl. Ps 1, 2). Die Gesetze des HERRN werden hier verstanden als Quelle des Lebens. Wer an ihnen Gefallen hat, steht an der Quelle des Lebens und bringt Frucht. Ich finde, es spricht für ein sehr positives Verständnis von Gesetz, wenn es wie an dieser Stelle nicht primär als Einschränkung oder Reglementierung des Lebens verstanden wird, sondern als die Quelle, aus der Leben erst hervorgeht. Dabei gilt es zu beachten, dass es eben nicht um ein bloßes „gutfinden“ der Gesetze geht. Bei Tag und bei Nacht über etwas nachdenken heißt ja, ihm Raum im täglichen Leben zu geben. Das ist, glaube ich, das Spannende an dieser Auffassung des göttlichen Rechtes: Wer dem göttlichen Recht im täglichen Leben Raum gibt, gelangt zur Quelle des Lebens. Ich glaube nicht, dass sich die Quelle des Lebens mit Gewalt verträgt. Es ist nicht zu bestreiten, dass Gott leider immer wieder mit Gewalt in Verbindung gebracht wurde und wird. Ich habe starke Zweifel daran, dass diejenigen, die Gott zur Legitimation von Gewalt gebrauchen, die sind, die wie Bäume, gepflanzt an Wasserbächen, sind.