Berufung und Folgen: Gott, Mose und Israel, 1. Teil
Da dieser Text etwas umfangreicher ist, werde ich ihn in mehreren Teilen hier veröffentlichen.
Mose führt zu Beginn von Kapitel 3 ein ganz normales Leben. Einst als Flüchtling aus Ägypten gekommen, hat er eine neue Bleibe bei der Familie Jitros gefunden und hütet dessen Schafe und Ziegen. Nichts deutet auf besondere Ereignisse hin – bis er den brennenden Dornbusch sieht. Nun brennt auch Mose – vor Neugier. Der Busch brennt und verbrennt doch nicht. Mose beschließt, sich das genauer anzusehen – und wird von Gott angesprochen. Der Wille Gottes, auf sich aufmerksam zu machen und die Neugier Moses bewirkten das Zusammentreffen von Gott und Mose. Es ist der Beginn einer ganz besonderen Gottesbeziehung.
Für Gott ist bereits klar, was er vorhat – er wird es Mose später sagen. Doch Gott spricht nicht sofort zu Mose. Erst weckt er seine Neugier, macht ihn gierig für etwas Neues – und damit offen für etwas Neues. Erst als diese Gier, dieses Verlangen nach etwas Neuem geweckt ist, spricht Gott ihn an – mit etwas Altem, Vertrautem: Seinem Namen. Mose nähert sich dem Busch und wird mit seinem Namen angesprochen. Es kommt zu einer langsamen Annäherung zwischen Gott und Mose: Erst wurde Neugier geweckt, jetzt wird mit Vertrautem angesprochen. Eine ganz behutsame Annäherung findet da statt. Jetzt kann sich Gott der ganzen Aufmerksamkeit Mose sicher sein. Mose antwortet auf den Ruf Gottes: „Hier bin ich“. Volle Aufmerksamkeit – und Gott setzt eine Grenze. Kein „Höre die Worte des HERRN“, sondern „Tritt nicht herzu“ sind die nächsten Worte. Keine sehr ermutigende Fortführung des noch jungen Gesprächs. Und doch notwendig. Denn Mose kommt ja, um den Dornbusch anzusehen. Er will ergründen, was es damit auf sich hat. Im Dornbusch aber zeigt sich der Bote Gottes – Mose will unwissentlich etwas ergründen, was göttlichen Ursprungs ist, aus göttlichen Sphären stammt. Das aber würde Moses Kraft übersteigen und an „göttlicher Sphäre“ rütteln. Da muss zum Schutze Moses eine Grenze gezogen werden, deshalb die Aufforderung: „Tritt nicht herzu“, versuche nicht, göttliches Wesen zu ergründen. Auch die Aufforderung, die Schuhe auszuziehen, weil der Boden heiliges, d.h. Land Gottes, ist, markiert eine Grenze. Sich in fremden Häusern die Schuhe auszuziehen war damals mehr als der Versuch, keinen Dreck ins Haus zu tragen. Es bedeutete auch: Ich erkenne an, dass ich hier Gast bin und jemand anderes der Hausherr. Indem Mose – wenn auch unwissentlich – heiliges Land mit Schuhen betrat, focht er die Hausherrschaft Gottes an. Gott aber verzichtet auf Strafe. Er verlangt nur, dass Mose jetzt seine Stellung anerkennt und zum Zeichen dessen die Schuhe auszieht. Dann erfährt Mose, wer diese Forderung stellt: Der Gott seines Vaters, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Das ist nicht nur die Vorstellung Gottes. Zugleich wird unwiderruflich von Gott festgestellt: „Mose, der Ort, an dem du lange Jahre aufgewochsen wbist, ist nicht dein Herkunftsort. Du gehörst zum Volk der Hebräer, nicht an den Hof des Pharaos. Dein Platz ist bei den hebräischen Knechten, die den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs verehren“. Mose wird hier nicht nur mit Gott, sondern zugleich auch mit seiner Herkunft und Vergangenheit konfrontiert. Die letzte Konfrontation mit seiner Herkunft hatte einen Toten und die Flucht aus Ägypten zur Folge (Ex 2). Kein Wunder, dass er sich fürchtet, Gott anzusehen. Da ist nicht nur Ehrfurcht gegenüber Gott im Spiel, sondern möglicherweise auch die Furcht, von Gott zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch es kommt anders. Gott erweist sich als der, der sich vom Leid der Knechte, von Israel, ebenso ergriffen zeigt wie einst Mose. Gott verheißt Mose und Israel Leben in Fülle. Von harter Arbeit in Knechtschaft zum Leben in Freiheit und Fülle. Vielleicht wurde Mose deshalb ausgesucht. Auch er hat sich vom Leid der Knechtschaft anrühren lassen (Ex 2, 11-12). Er kennt beides: Leben in Luxus und Freiheit durch sein Leben am Hofe Pharaos und Leben mit harter Arbeit als Viehhirte Jitros, was zwar eine andere Form der Knechtschaft ist als die Israels in Ägypten, aber auch Knechtschaft. Er kennt den Geschmack der Freiheit ebenso wie den Geschmack der Knechtschaft. Am Hofe Pharaos aufgewachsen hat er Luxusleben kennengelernt – und durch seinen Einsatz für einen hebräischen Knecht wieder verloren. Nun lebt er das arbeitsreiche Leben eines Viehhirten. Bestimmt auch kein leichtes Leben, doch er scheint sich ganz gut darin eingerichtet zu haben. Jetzt soll er dieses Leben wieder verlassen – wiederum für die hebräischen Knechte, die doch auch sein Volk sind, zu denen er gehört. Dieses Volk soll er in die Freiheit führen.