So gingen Mose und Aaron hin zum Pharao und sprachen zu ihm: „So spricht der HERR: ‚Lass mein Volk ziehen, dass es mir diene‘ “

Die Forderung an den Pharao, das Volk ziehen zu lassen, ist nicht neu. Sie begegnet seit Kapitel 3, zunächst variiert im Wortlaut (Ex 3, 184, 22-23 5, 1 6, 11  7, 16), doch die Kernforderung ist bereits enthalten: der Pharao soll Israel ziehen lassen, damit es in der Wüste opfern kann. Nach der 1. Plage (Vgl. Ex 3, 14-15) wird durchgängig die Formulierung genutzt, die auch Tageslosung ist: Lasse mein Volk ziehen, dass es mir diene! (Vgl. Ex 7,26  8, 16 9, 1,13). Bis auf in 6, 11 wird auch ein Opfer in der Wüste wird in allen Textstellen erwähnt, denn die Formulierung „JHWH bzw. ihm dienen“ oder auch „ein Fest feiern“ kann hier als Synonym für opfern verstanden werden.

Angesichts dieser häufigen engen Verknüpfung von Befreiung aus Ägypten und Opfer für Gott kommt die Frage auf, ob es primär eigentlich um die Befreiung aus Leid geht oder um die Befreiung zum Opfer. Sollte der Blick Gottes etwa zuerst auf ein Opfer für ihn gerichtet sein, statt auf die Befreiung von Leiden? Dann wäre er kein barmherziger Gott, der das Leid seines Volkes erhört, sondern kühler Taktiker: Wenn ich sie befreie, opfern sie mir.

Doch schon die Berufung Mose zeigt, dass wir es eben nicht mit einem kühlen Taktiker zu tun haben. Nachdem er sich Mose vorgestellt hat, gilt sein erstes Reden der Befreiung seines Volkes aus der Not (Ex 3, 7-9). Erst als Mose zweifelt und fragt, wer er denn sei, dass er Israel zum Pharao spricht und Israel aus Ägypten herausführt bekommt er zwei Zusagen, die in die Zukunft weisen: 1. Gott will mit ihm sein. (Vgl. Ex 3, 11-12). Diese Zusage Gottes ist der erste Teil von V. 12. Im zweiten Teil wird die Verbindung zur Tageslosung deutlich: „Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge“.  Das Opfern auf dem Berg ist also Zeichen für Mose in der Zukunft, dass er richtig gehandelt hat. Das ist sozusagen eine „israelinterne Funktion“ des Opfers: Ein für die Zukunft angekündigtes Opfer soll Mose Mut machen, seine Aufgabe zu erfüllen. Doch das Opfer hat auch eine „israelexterne Funktion“: Es soll gegenüber dem Pharao als Grund angeführt werden, warum die Israeliten in die Wüste ziehen wollen (Vgl. Ex 3, 18). Gegenüber dem Pharao soll keine Rede davon sein, dass es um die Befreiung aus Leid geht. Vor dem Hintergrund dieser israelinternen- und externen Funktionen des Opfers wird deutlich, dass das Opfer hier Teil der Befreiung, jedoch nicht Grund der Befreiung ist.

Gottes befreiendes Handeln an Israel geschieht allein deshalb, weil er seine Not sieht. Gott befreit nicht aus taktischem Kalkül heraus, sondern allein aus Mitleid mit seinen Geschöpfen – das vermittelt die Erzählung von der Befreiung Israels und das ist auch der Grund für Golgatha und die Auferstehung Christi.

Comments

Comment by bundesbedenkentraeger on 2012-03-14 11:11:46 +0100

Ich frag mich grad, ob man das so differenzieren kann. Und ob der Pharao wirklich keine Ahnung davon hatte, daß die Israeliten nicht nur mal eben in der Wüste ei pferfest feiern wollten, sondern sich aus dem Staub machen.
Da stellt sich gleich wieder die Frage nach dem Selbstverständnis des Pharaos. Wenn er selbst Gott ist (sein will) und die von ihm anerkannten Götter diejenigen waren, denen man zu dienen hatte, kann das Opfer für einen anderen Gott ja durchaus als Rebellion gesehen werden.
Denn die Israeliten sind Untertanen Pharaos. Er kann über sie bestimmen wie über alle Untertanen seines Reiches. Eigene Gedanken und Wünsche zu entwickeln, eigene Götter zu verehren, all das bedeutet, sich von Pharao abzuwenden, sein eigenes Ding zu drehen. An sich (aus Sicht des Pharao) eine Gotteslästerung.
Israel hat zwei Alternativen: Sich Pharao unterwerfen, tun was er will und folglich seinem Willen alles opfern, oder sich Gott zu unterwerfen.
Die Unterwerfung unter Pharao wird als Leid gedeutet. Die Unterwerfung unter einen anderen Gott ist aus dieser Warte Befreiung. Das Opfer für einen anderen Gott kann so zum regelrechten Freiheitsfest werden: „Sieh her Pharao, wir opfern unserem Gott und nicht Dir.“
Damit sind sie befreit von der Leidensherrschaft Pharaos und stehen unter der Segen spendenden Herrschaft Gottes.
Aus dieser Arte wird auch der Untergang des Pharaos mit seinen Heerscharen (sic!) im Schilfmeer zum Kampf zweier Götter. Pharao ist mit all seiner Macht den Wassermassen, die Gott bewegt, nicht gewachsen, und geht unter. Ein Stück Chaoskampf.
Ich finde noch interessant, was das für uns heute bedeuten kann: Man sollte nicht so sehr danach äugen, was Gott denn alles so an Gebet und Opfern etc verlangt und dies als Einschränkung unserer Freiheit ansehen, sondern viel eher sehen, welchen Idealen, welchen „Göttern˚ wir uns untrordnen, und was diese von uns verlangen und dann sehen, inwieweit eine Unterordnung unter Gott für uns eine Befreiung bedeuten könnte. Wenn man die Knechtschaft im täglichen Leben außer Acht läßt, wird man die Unterordnung unter Gott immer als Freiheitsbeschränkung ansehen, weil man seine eigene Unfreiheit gar nicht mehr thematisiert und sich eine darüber hinausgehende Freiheit nicht vorstellen kann oder will.
Ein solches Freiheitsverständnis könnte den Glauben auch wieder attraktiver machen, alleine, es müßte vermittelt werden.
Wo befinden sich die Menschen heute an den Fleischtöpfen Ägyptens in Knechtschaft? Diese Frage ist für das allenthalben beschworene „Wachstum gegen den Trend“ zentral, wie ich meine.

Comment by bonifatz on 2012-03-14 13:38:24 +0100

Dann will ich deine Frage mal beantworten: Ja, ich denke schon, dass man das so differenzieren kann. Ich gehe durchaus auch davon aus, dass dem Pharao klar war, dass es nicht nur darum ging, mal eben in der Wüste ein Fest zu feiern. Natürlich steht Israel nach dem Opfer in der Wüste nicht mehr im Herrschaftsbereich des Pharaos. Dieser Umstand ist jedoch völlig unerheblich dafür, dass dem Pharao der tatsächliche Grund für den Gang in die Wüse (die Not Israels) verschwiegen wird. Das ist der einzige Grund, der in der Berufung Mose für die Befreiung Israels genannt wird. Dieser tatsächliche Grund wird jedoch verschwiegen. Deshalb denke ich schon, dass man so differenzieren kann.

Die Frage nach der Freiheit und den Fleischtöpfen von heute habe ich mir zwar auch gestellt, wollte aber diesmal nicht schon wieder mit einer Frage schließen. Insofern: Schön, dass du diese wichtige Frage gestellt hast 🙂

Comment by bee on 2012-03-14 17:38:25 +0100

Man könnte sich hier auch die Frage stellen, wie wahrer Gottesdienst und Freiheit zusammenhängt. Wenn eben nicht die Freiheit das letzte Ziel des Auszugs ist, sondern es im Grunde wirklich um das rechte Opfer geht. Es eben nicht nur ein frei von falschen Herrschern und Göttern ist, sondern ein frei für ist. Freisein um sich an die Gebote und Opfer binden zu können. Und später auch das Land nur in sofern besessen wird, wie diese Ordnung nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Sinn nach gehalten wird.

Comment by bundesbedenkentraeger on 2012-03-14 18:02:26 +0100

Man kann auch Lutheraner von Katholiken differenzieren, aber das führt doch zu nix 😉
Ich denke, daß die Erlösung aus dem Leid in Ägypten und das, was man dem Pharao sagte, einander halt nicht widersprechen. Was ist das denn für ein Widerspruch? Dem Pharao sagt man, man will in der Wüste opfern (= sich einem anderen Gott unterwerfen), den Israeliten ist klar: Wir wollen rübermachen nach Kanaan, weg von Pharao, m dem Leid der dortigen Knechtschaft zu entgehen.
Beides drückt das Gleiche aus: Weg von Pharao, hin zu Jahwe. Hintergrund und Motivation für die Israeliten ist, daß es ihnen nter Jahwe besser gehen soll. Aber das ist für Pharao irrelevant. Wieso sollte der sich m das Wohlergehen seiner Untertanen bekümmern?
Es wäre auch meiner Meinung nach zu modern gedacht, wenn man sagt: Okay, die bleiben im Land und zahlen dem Pharao Steuern, aber beten halt zu Jahwe. Solche neumodischen Differenzierungen waren damals wohl eher weniger drin. Also heißt die Alternative: In Ägypten bleiben nd das Leid der Fleischtöpfe ertragen, oder mit Jahwe auswandern und 40 Jahre in der Wüste Tag ein Tag aus jeden Tag Manna aufm Tisch haben, ständige Lebensgefahr inbegriffen.
Gottes ansage an Pharao: Laß mein Volk ziehen, daß es mir diene, ist damit sowas wie ein Fehdehandschuh, den Gott Pharao hinwirft. Modern übersetzt vielleicht: Alda, isch mach Disch Messer. Pharao kann nun kschen und Gottes Übermacht anerkennen, oder er nimmt selbstbewßt die Auseinandersetzung an.
Wir wissen, was er getan hat. Und wie gt es ihm und seinem Land in der Folge tat, wissen wir auch. Es ist nicht anzuraten, Gott eine Forderung abzschlagen. Dann macht Er Dich nämlich im Zweifel wirklich Messer.

Comment by Bundesbedenkenträger on 2012-03-15 09:44:06 +0100

Wenn eben nicht die Freiheit das letzte Ziel des Auszugs ist, sondern es im Grunde wirklich um das rechte Opfer geht.
Meines Erachtens nach ist es das Gleiche. Das rechte Opfer geht nur in Freiheit und Freiheit geht nur mit dem rechten Opfer. Ohne Gottesverehrung keine Freiheit, ohne Freiheit keine Gottesverehrung.
Ziel des Auszuges ist, daß die Israeliten Jahwe dienen, und nicht Pharao. Ziel des Auszuges ist auch, daß die Israeliten frei werden, und nicht im Leid Ägyptens leben (trotz aller dortigen Fleischtöpfe).

Freisein um sich an die Gebote und Opfer binden zu können.

Wenn man frei ist, hat man sich schon an die Gebote Gottes gebunden. Wenn man sich nicht an sie gebnden hat, ist man (noch) nicht frei. D scheinst einen Zwischenschritt anzunehmen, den ich nicht sehe: Daß man frei sein könnte von Pharao und allem anderen, aber trotzdem noch nicht Gottes Gebote angenommen hat. Das gibt es nicht.
Das waran Du Dein Herz hängst, das ist Dein Gott. (Luther)
Wenn das Herz an den Fleischtöpfen Ägyptens hängt, an der materiellen Versorgung, dann ist Pharao Gott. Er bestimmt, was in Ägypten Sache ist. Dort ist man nicht frei, aber man hat zu essen. Auf der anderen Seite Gott. Wenn das Herz an Ihm und Seinen Geboten hängt, ist man frei. Und zwar frei von allen Fleischtöpfen, denn Gott gibt jeden Tag Manna, und auch nur so viel, wie man für den Tag braucht. Man muß Vertrauen haben, man muß sich wirklich an Ihn hängen.
Aber anders gibt es keine Freiheit. Anders kommt man aus Ägypten, dem Knechthaus nicht raus. Will man Freiheit, ist Gott der einzige Weg. Eine Alternative gibt es nicht.

Und später auch das Land nur in sofern besessen wird, wie diese Ordnung nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Sinn nach gehalten wird.

Klar, denn hält man sich nicht an die Ordnungen Gottes, dann hält man sich an andere Ordnungen (die können auch recht unordentlich daherkommen). Und diese anderen Ordnungen bedeuten Knechtschaft, Freiheitsverlust. Sie sind Menschenwerk. Hält man sich an sie, so begeht man Götzendienst, und dieser bedetet stets Unfreiheit. Wirkliche Freiheit gibt es nur bei Gott. Da ist keine Alternative einer Freiheit ohne Gott.

Comment by bonifatz on 2012-03-15 10:52:51 +0100

@bee: Klar kann man sich die Frage stellen. Ich würde aber sagen, aus der Berufung Mose geht hervor, dass zumindest die Verfasser eindeutig das Opfer nicht als Grund für die Befreiung anführen, sondern als Ermutigung für Mose. Als Grund für die Befreiung wird auf Textebene eindeutig gesagt, dass Gott Israel wegen seines Klagens erhört hat und es aus der Not in Ägypten befreien will. Deshalb würde ich schon sagen, dass es im Kern um die Freiheit geht.
@Bundesbedenkenträger: Mit dem Zusammenhang von Opfer und Freiheit bin ich durchaus einverstanden. Ich finde es aber wichtig, dass nicht der Eindruck vermittelt wird: Gott befreit Israel ja nur, damit sie ihm opfern. Denn das würde dem, was die Verfasser des Textes bei der Berufung Mose schildern, eindeutig widersprechen.

Comment by Bundesbedenkenträger on 2012-03-15 14:36:01 +0100

@Bonifatz: Ich verstehe Dein Problem. Du willst nicht, daß Gott so rüberkommt, als befreie Er die Israeliten nur, um sich dann bedienen zu lassen. Und da stimmt ich Dir zu (und Bee sicherlich auch?). Ich wollte darauf hinweisen, nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, und das Opfr bzw seine Fuktion ganz außer Acht zu lassen. Ich meine, es handelt sich eben beim Opfer für Gott und beim Befreien aus Ägypten um das Selbe. Ich versuche einen Schritt weiter zu gehen, und das Opfer in die Erhörung des Volkes mit hineinzukriegen. Ich meine, das gehört in der Tat fest zusammen und kann aus damaliger Perspektive nicht losgelöst voneinander gedacht werden. Atheisten gab es damals nicht (und gibt es heute eigentlich auch nicht, es sei denn, man nimmt die Buddhisten mit rein), man opferte immer irgend jemandem (so wie man auch heute seiner Karriere die Zeit mit der Familie opfert). Ich denke, Bees Kommentar geht in eine ähnliche Richtung, wobei sie den neuzeitlichen Freiheitsbegriff mit reinzubringen scheint, nach dem man frei von etwas sein kann ohne gleichzeitig frei für etwas zu sein. Wie gesagt, ich denke die Freiheit von einer Sache bedeutet stets (sic!) die Freiheit für eine andere Sache. Wenn ich von Gott frei bin, bin ich frei zum sündigen. Wenn ich von der Sünde frei bin, bin ich frei zu Gott.