Die Tageslosung stammt aus dem Plädoyer Jeremias für Juda im 14. Kapitel. Wird zuvor überwiegend das Leid Judas und Jerusalems als Strafe Gottes interpretiert (Vgl. Jer 14, 1-18), so folgt in den Versen 19-22 ein Plädoyer Jeremias für Juda und Jerusalem (Vgl. Jer 14, 19-22). Dieses Plädoyer ist gedacht als Rede Jeremias vor Gott. Innerhalb dieses Plädoyers steht auch die Tageslosung. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus V. 22, für den es ganz verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten gibt:
(Ps 74,20; Jer 3,17; Jer 14,7; Jer 17,12)
Meine eigene Übersetzung des Losungstextes wäre: 22b) Bist du nicht, HERR, unser Gott 22c) und auf dich hoffen wir/auf dich warten wir.
Da ja in 22a die Frage gestellt wird, wer denn Regen schickt und es schwer vorstellbar ist, dass Jeremia im Angesicht Gottes jemand anderen für Regen verantwortlich macht, schließe ich mich hier den anderen Übersetzungen an und gehe davon aus, dass 22b eine rhetorische Frage als Antwort auf die zuvor aufgeworfene Frage ist und eine dem Kontext angemessene Antwort deshalb Bist du es (der, der den Regen schickt) nicht, Herr, unser Gott? Bei V. 22c möchte ich gerne beide Aspekte des Verbs zur Geltung bringen, sowohl den Aspekt, dass gewartet wird als auch den, dass gehofft wird. Dafür scheint mir keine der bisherigen Übersetzungen günstig zu sein. Deshalb übersetze ich V. 22c etwas behelfsmäßig mit: „wir warten hoffnungsvoll auf dich“.
Die Übersetzung des Losungstextes (V. 22b-c) lautet dann:
„Bist du es nicht, Herr, unser Gott? Wir warten hoffnungsvoll auf dich“
Wie schon gesagt, entstammen die Losung aus dem Plädoyer Jeremias. Er hält es, weil ihm das bevorstehende Leid Judas und Jerusalems deutlich vor Augen steht. Doch auch angesichts des Leidens spricht Jeremia noch immer davon, dass hoffnungsvoll auf Gott gewartet wird. Er lässt das Gespräch mit Gott nicht abreißen. Ein Gespräch wird nach meiner Erfahrung nur aus zwei Gründen geführt. Entweder, weil man sich später von keinem Menschen vorwerfen lassen will, nicht dialogbereit zu sein, oder weil man noch Hoffnung hat, dass dieses Gespräch etwas bringt. Die Verfasser des Buches Jeremia stellen Jeremia, soweit ich das sehe, nicht als jemanden dar, der sich aus Vorwürfen anderer Menschen etwas macht. Deshalb vermute ich, dass Jeremia uns hier als jemand gezeigt werden soll, der auch im Angesicht großen Leidens am Dialog mit Gott festhält, weil er die Hoffnung hat, dass es etwas bewirkt. Er ist sozusagen ein lebendiges Zeichen dafür, dass hoffnungsvoll auf Gott gewartet wird.
Jeremia hält in großer Not hartnäckig am Gespräch mit Gott fest. Auch bei anderen Menschen in der Bibel begegnet uns diese Hartnäckigkeit – Abraham, Mose, ja, selbst der Brudermörder Kain gibt keine Ruhe, nachdem Gott ihn nach seinem Brudermord verflucht hat, sondern wendet sich noch einmal an Gott (Vgl. Gen 4, 13-15). Ich glaube, diese Hartnäckigkeit können wir von ihnen allen, von Jeremia, Abraham, Mose und auch Kain lernen, bei allem, was uns von ihnen trennt und unterscheidet. Bei allem, was uns an Leid vor Augen steht, dennoch an Gott festhalten und das Gespräch mit ihm nicht abreißen zu lassen, sondern uns in Lob, Klagen und Fragen im Gebet immer wieder an ihn zu wenden.