Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade.

Dieser Satz stammt aus einem Gebet des Propheten Jona. Wie kam er dazu, ihn zu beten? Gott gab Jona den Auftrag, nach Ninive zu gehen und dort zu predigen. Die Stadt ist dermaßen böse, dass ihr Unheil vonseiten Gottes droht. Deshalb soll Jona dort predigen und sie zur Buße bewegen.  (Jona 1, 2). Jona weigert sich. Erst am Ende erfahren wir, warum: Er war sich sicher, dass JHWH Ninive gnädig sein würde, wenn er dort predigt. Und statt sich darüber zu freuen, dass Gott gnädig ist, will er Ninive meiden. Er will offenbar Ninive von der Gnade Gottes ausschließen. Er bezahlt Geld für eine Schiffsfahrt nach Tarsis und  vertraut sich nicht der Führung Gottes an, sondern will ihm ausweichen.

Diese Momente des Ausweichens sind mir nur zu vertraut. Diese Jona-Momente, in denen ich Gott ausweichen möchte. ****Mich ihm und seinen Fragen nicht stellen möchte, weil sie unbequem sein können. Solche Fragen können z.B. sein: „Der Ärger, den du letztens hattest – ist der schon beigelegt? Und wenn er es nicht ist: „Warum nicht? Hast du alles dafür getan, ihn beizulegen?“. Sich solchen Fragen zu stellen kann anstrengend sein und zu einem Ausweichmanöver verlocken. Doch an Jona sehen wir, dass sie zu nichts führen – außer zu größeren Schwierigkeiten.

Sein Plan scheitert, das Schiff gerät in einen Sturm. Es droht zu sinken, die Mannschaft ist hoffnungslos und fragt nun ihn: „Was sollen wir tun?“ Jona weiß, was zu tun ist, er kennt den Grund für den Sturm und antwortet: „Werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dieser Sturm über euch gekommen ist“. Ob er selbst damit rechnet zu überleben ist unklar. Als alles Mühen der Mannschaft nichts nützt, werfen sie ihn schließlich ins Meer – nicht ohne seinen Gott um Verzeihung zu bitten, falls er unschuldig ist. Er schreit – wie er später im Gebet schildert – zu JHWH und findet sich im Bauch des Fisches wieder. Und hier betet er. Er schildert, wie er bis hierhin kam und zieht am Schluss die Lehre aus den Ereignissen. An dieser Stelle setzt der Losungstext ein:

„Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade“

So übersetzt Luther den Text. Ein Hebräischdozent, bei dem ich Hebräisch gelernt habe, hat uns immer wieder eingeschärft: Vertrauen Sie niemals der Lutherübersetzung ungeprüft und achten Sie genau auf das, was da im Hebräischen steht. Dieser Satz hat mich durch mein ganzes Studium begleitet. Texte sind ein bisschen wie Strickpullover: auf einzelne Fäden muss geachtet werden, damit am Ende etwas Ganzes entsteht, aber an einzelnen Fäden darf nicht zu sehr gezerrt werden, sonst zerstört man den Text. Es ist Behutsamkeit gefragt. Behutsam und vorsichtig sollen deshalb die Fäden aufgenommen werden, die in diesem Text verstrickt sind.

Der erste Faden heißt „sich halten an das Nichtige“. Überprüft man die Lutherübersetzung durch einen Vergleich verschiedener Übersetzungen oder einem eigenen Übersetzungsversuch, wird deutlich, was mit „sich halten an das Nichtige“ gemeint ist: Es geht hier um die Verehrung anderer Götter. Zum Thema andere Götter lesen wir bei Luther: Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott. Dieses Thema hat vor und nach Jona Menschen beschäftigt und auch wir sind vor die Frage gestellt: An was hängst du dein Herz, d. h. auf was setzt du dein uneingeschränktes Vertrauen?

Was heißt eigentlich „sein Vertrauen auf jemanden setzen“? Bei Jona wird es umschrieben mit: sich an etwas halten. Sich an etwas halten kann verschiedenes bedeuten. Zum einen kann es heißen: Halt bei etwas suchen. Mit Hilfe von etwas sicher stehen, z.B. mit einem Stock, auf den man sich stützt. Zum anderen kann es auch bedeuten: Sich an etwas Orientieren. Ein Leuchtturm zum Beispiel ist ein Anhaltspunkt, eine Orientierungshilfe, die den Weg weist. Hilfen zum Stehen  und Hilfe beim Orientieren beides klingt bei „sich halten an“ an. Und so lautet die Frage an uns, die im Text ein bisschen verborgen ist: „Worauf stützt du dich? Wer oder was ist deine Orientierungshilfe?“

Jona stützte sich am Beginn seiner Reise nicht auf Gott, sondern auf sein Geld, mit dem er sich die Schiffsfahrt erwarb. Sein Orientierungspunkt war nicht Gott, sondern der Leuchtturm von Tarsis. Es ist nichts gegen Geld einzuwenden. Es ist auch sonst nichts gegen Dinge einzuwenden, die uns im Alltag unterstützen. Auch Leuchttürme sind im Allgemeinen zu begrüßen. Gegen Orientierungs-hilfen im Alltag ist nichts einzuwenden. Doch weder Alltagsstützen noch Orientierungshilfe dürfen wir so vertrauen wie wir Gott vertrauen dürfen: Vorbehaltslos, ohne Einschränkung. Ein weiteres prominentes Beispiel dafür, was passiert, wenn wir etwas anderem als Gott vorbehaltlos vertrauen, sahen wir auch im Evangelium. Auf die Leidensankündigung Jesu widerspricht Petrus und will Jesus davon abbringen (Vgl. Mt.16, 22) Er vertraut seinen eigenen Gefühlen mehr als Gott, und wird dafür zurechtgewiesen. So stehen sie beide, Jona und Petrus, als Erinnerung daran, dass wir nichts und niemandem mehr vertrauen können und dürfen als Gott.

Auch davon, was die Folgen wären, sich an Nichtiges zu halten, Gott nicht zu vertrauen, lesen wir im Lesungstext „Die sich an Nichtiges halten, die verlassen ihre Gnade“.

Der zweite Faden, der aufgenommen wird, ist „die verlassen ihre Gnade“.

Man kann einen Ort nicht verlassen, ohne zuvor dort gewesen zu sein. Man kann auch Menschen nicht verlassen, ohne zuvor in irgendeiner Form – körperlich oder z.B. durch Mailkontakt – bei ihnen gewesen zu sein. Ebenso wenig kann man Gnade verlassen, wenn sie nicht zuvor bei einem gewesen ist. Wenn es also heißt: „Die sich halten an das Nichtige, die verlassen ihre Gnade“ müssen diese zuvor Gnade gehabt haben, sonst könnten sie sie nicht verlassen. Es geht also hier nicht um die, die ihr Vertrauen noch nicht auf Gott setzen. Es geht um die, die Gott nicht mehr vertrauen.

Und es geht um die Jona-Momente in uns. Um die Momente, in denen wir sagen: Ich kann Gott nicht mehr vertrauen. Über diese Menschen, über diese Jona-Momente wird gesagt: Da wird die Gnade verlassen. Und nicht irgendeine Gnade, sondern ihre Gnade. Gnade ist etwas ganz persönliches. Diese ganz persönliche Gnade kann nur wirksam werden, wenn wir uns jemandem voll ausliefern. Das geht nur, wenn wir dem, dem wir uns ausliefern, vertrauen. Die Gnade, von der bei Jona die Rede ist, ist die Gnade Gottes. Wenn wir anderen Dingen mehr vertrauen als Gott und Gott so unser Misstrauen aussprechen, können wir auch keine Gnade von ihm annehmen. Denn wie könnten wir Gnade von jemandem annehmen, dem wir misstrauen? Es sind diese Jona-Momente, in denen wir – wenn auch nur zeitweise – das Vertrauen in Gott verlieren und so unsere Gnade verlassen.

In diesen Jona-Momenten kann es auch die Jona-Geschichte sein, die uns neues Vertrauen ermöglicht. Denn nachdem ihn die Seefahrer ins Meer geworfen haben, droht er umzukommen. Doch statt sich in seinen Tod zu fügen, setzt er doch noch einmal all sein Vertrauen, seine Hoffnung auf den Gott, dem er vorher ausweichen wollte. In seiner Not schreit er zu JHWH – und wird erhört. Er geht unter – und überlebt, geborgen von einem Fisch. Im Leben kann uns das Wasser bis zum Hals stehen. Auch untergehen ist nicht ausgeschlossen. Doch auf eines können wir uns verlassen: Rufen wir dann zu Gott und befehlen uns seiner Gnade an, dann kommt auch für uns ein Fisch, der uns rettet und unter den Wogen hindurchträgt. Denn nur weil wir die Gnade verlassen, heißt das ja noch lange nicht, dass Gott uns verlässt. Jona wird getragen und drei Tage später an Land gesetzt. Wieder fordert Gott ihn auf, nach Ninive zu gehen und dort zu predigen.  Gott ist hartnäckig – er ist ein Gott der zweiten Chance, der vielen Chancen. Diesmal hört Jona auf ihn und geht in die große Stadt Ninive. Nach Sturm, beinahe ertrinken und drei Tage im Fisch geht er doch in die Stadt, die ihm das Ganze – indirekt zumindest – eingebrockt hat. Er geht in die Stadt, die er eigentlich meiden möchte. Das ist Vertrauen, aus dem heraus Gnade wirksam werden kann: Sich von Gott auch an die Orte und die Situationen schicken lassen, die man eigentlich meiden möchte.

Es wird geschildert, dass er dort eine ebenso kurze wie wirkungsvolle Predigt hält, deren Kern wohl nur aus einem Satz bestand: „Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen“. Die Folgen sind beeindruckend. Die Stadt geht in Sack und Asche, sie tut Buße. Selbst der König geht in Sack und Asche und bezieht per königlichen Erlass sogar die Tiere mit in die Bußhandlung ein: Weder Mensch noch Vieh sollen essen und trinken, Mensch und Vieh sollen sich in Sack und Asche hüllen. Soweit ich weiß, ist die Schilderung von Vieh im Sack zwecks Buße einmalig in der Bibel. Das zeigt deutlich, wie groß die Wirkung der Predigt in dieser Geschichte ist.

Es kommt genauso, wie Jona es vermutet hat: Er predigt, Ninive tut Buße, Gott ist gnädig. Hätte Jona von Anfang an der Führung Gottes vertraut und Ninive nicht von der Gnade ausschließen wollen, wäre ihm einiges an Schwierigkeiten erspart geblieben. Es liegt nicht an uns, Menschen von der Gnade Gottes auszu-schließen. Dort, wo Gott Gnade wirksam lassen werden will, haben wir dem nichts entgegenzusetzen. Und auch das heißt Vertrauen auf Gott: Es ihm vorbehaltlos überlassen, ob er gnädig ist oder nicht.

Noch einmal der Satz aus dem Gebet Jonas:

Die sich halten an das Nichtige, die verlassen ihre Gnade.

Wenn wir Gott nicht voll und ganz vertrauen, ihm immer wieder neu vertrauen, dann kann seine Gnade ihre befreiende Wirkung in unserem Leben nicht entfalten. Deshalb lasst uns immer wieder im Vertrauen zu Gott leben, Tag für Tag auf’s Neue.

Comments

Comment by Bundesbedenkenträger on 2012-02-29 11:07:30 +0100

Ich würd mal sagen: Mit Abstand Dein bester Text hier bisher. Aber ich hab den von heute nicht gelesen. Die kleine Pause hat sich absolut ausgezahlt.

Comment by bonifatz on 2012-02-29 13:24:23 +0100

Danke, das freut mich 🙂 Könnte auch daran liegen, dass ich gestern über diesen Text gepredigt habe und für diesen Blogartikel aus der Predigt nur die „Predigtrethorikspielereien“ rausgenommen habe 😉