Du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.

Die Rettung der Seele vom Tod – grade am Beginn der Passionszeit, an deren Ende ja die Überwindung des Todes steht, besteht die Gefahr, diesen Text vorschnell und kritiklos durch eine christliche Brille zu betrachten. Gegen eine solche christliche Brille ist erstmal nichts einzuwenden. Man muss jedoch in der Lage sein, sich durch Hinweise, die der Text gibt, zeitweise von der christlichen Brille zu lösen bzw. die Aussagen, die man aufgrund der christlichen Brille tätigen würde, nocheinmal zu hinterfragen.

Dem Losungstext gehen mehrere Verse voran. Zunächst wird erklärt, dass der Beter JHWH liebt und dieser ihn erhört und aus realer Todesgefahr errettet hat (V. 1-6). In V. 7 wird dann die Seele zur Ruhe gemahnt, da Gott ihr ja Gutes tut. Es kommt dann in V. 8 zu einer Veränderung im Text. Zuvor wurde von JHWH immer nur in der 3. Person gesprochen (V. 1-7), in V. 8 wird nun JHWH direkt angesprochen. Man kann nun sicher über verschiedene Entstehungsschichten des Textes sprechen. Ich aber finde es viel spannender, zu sehen, was der Redaktor hier vermittelt. Sowohl in V. 1-7 als auch in V. 8 lautet die zentrale Aussage: JHWH hat aus Todesgefahr gerettet. Inhaltlich also nichts Neues. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass in 1-7 über JHWH, in V. 8 mit JHWH gesprochen wird. Über JHWH reden hat seine Zeit, mit JHWH reden hat seine Zeit. Der Psalmist spricht im Gebet erst über JHWH, er macht den Hörern und Lesern mit der Rede über JHWH plausibel, warum er überhaupt betet.

Ich glaube, wir können aus diesem Psalm lernen, dass wir uns bewusst machen, warum wir beten – und auch keine Scheu davor haben, anderen gegenüber zu erklären, was uns zum Gebet bringt.

Ich habe zu Beginn von der Passionszeit und der christlichen Brille gesprochen. Die Brille möchte ich jetzt wieder aufsetzen. Mit Blick auf die Situation des Psalmisten ist zu sagen: Er spricht von einem gegenwärtigen, für Menschen fühlbaren Tod – vom leiblichen Tod. Dieser Tod ist auch nach Christi Auferstehung nicht aus der Welt. Gestorben und begraben wird weiterhin. Der leibliche Tod ist ein Schlusspunkt hinter dem irdischen Leben. Doch Christen dürfen auf einen weiteren, wichtigen Punkt Vertrauen: Die Auferstehung Christi. Sie ist der Punkt, der aus dem Schlußpunkt hinter dem irdischen Leben den Doppelpunkt vor dem ewigen Leben macht. Der Entstehung dieses Doppelpunktes gedenken wir in den nächsten 40 Tagen der Passionszeit.