Ich hatte eigentlich seit dem Grundstudium nicht mehr viel von ihm gehört: Dem Bund. Es ist einer dieser alttestamentlichen Begriffe, die man wahnsinnig aufladen kann und die einem, wenn man sich nicht eingehend damit beschäftigt, nicht besonders viel sagen müssen und daher auch abschrecken können. Es war jedenfalls nicht mein Lieblingsbegriff damals.

Heute begegnete ich ihm wieder, in einer Übung zur Ehe- und Familienseelsorge. Und zwar bei der Beschreibung der Ehe zwischen Mann und Frau, in Abgrenzung zu einem Vertragsverständnis. Und da man im Studium gedanklich ja nie nur bei einem Thema ist, hatte ich Assoziationen in eine ganz andere Richtung, nämlich zur Staatstheorie.

Der Liberalismus

Ich habe mich für ein anderes Thema nämlich in die Entwicklung im 19. Jahrhundert etwas eingelesen, Konservativismus gegen Liberalismus. Und da begegnet eine Kritik am Liberalismus, die ich nachvollziehen kann: Der Liberalismus löst die Gesellschaft auf. Und tätsächlich ist da etwas Wahres dran, denn der Liberalismus, mit seiner Betonung des Individuums, vernachlässigt aufgrund dieser Betonung die Gesellschaft in ihrer Gänze ein wenig. Ideal ist der gebildete und mündige Bürger, der weitgehend atonom entscheidet, was er tut und was er läßt. Vorschriften von einem König oder sonst jemandem will er sich nicht machen lassen und wenn, dann sollen diese Vorschriften für alle gelten. Es war dies ein unglaublicher Fortschritt, hinter den niemand, der Herr seiner Sinne ist, wieder zurückwollen könnte.

Doch stellt sich die Frage, was mit dem Bürger ist, der Bildung und Mündigkeit nicht erlangt hat. Man hat die Menschenrechte formuliert, aber keine Menschenpflichten. In der Abwehr der Übergriffe des Absolutismus hat der Liberalismus zuerst und zumeist die individuellen Freiheiten betont. Jedoch führen diese, im Extrem von unumsichtigen Zeitgenossen gefordert und angewandt, zur Deintegration der Gesellschaft und des Staatswesens, das die Freiheiten eigentlich garantieren soll. Beispiele scheinen mir gegeben etwa in der Occpuy-Bewegung, wo der einseitige Machtanstieg in der Hand einiger weniger kritisiert wird, oder auch im Urteil zum Gebetsverbot am Diesterweg Gymnasium zu Berlin-Wedding, wo der eine (meiner Meinung nach zu Recht) auf seine Religionsfreiheit pocht und die Gegenseite ein Recht postuliert, von Religion verschont bleiben zu dürfen. Beide argumentieren mit Freiheit, beide beziehen sich zuerst auf sich selbst und nicht auf die Gesamtgesellschaft. Gleiches wird „den Banken“ vorgeworfen. Es gibt der Beispiele noch viel mehr.

Und auch wenn alle diese Beispiele lösbar sind, etwa durch bessere Gesetze oder mehr Toleranz, zeigt sich doch hier das Problem des Liberalismus, daß eben der gesellschaftliche Zusammenhalt durch die Fokussierung auf das Individuum prinzipiell erst einmal in Frage gestellt wird.

Zur Absicherung des gesellschaftlichen Zsammenhalts haben schon früh liberal denkende Philosophen nach Strukturen gesucht, die im Rahmen des Liberalismus den Zusammenhalt garantieren können. Populär war der Gedanke eines Gesellschaftsvertrages, der in allgemeiner Übereinstimmung geschlossen wird und die Grundlagen des gesellschaftlichen Miteinanders klärt. Dabei ist es nie zu einem wirklichen Übereinkommen aller Individuen gekommen, es wird angenommen, daß im Grunde alle die gleichen Vorstellungen und Wünsche haben. Hierher gehört wohl auch der Gedanke von Kants kategorischem Imperativ.

Das Vertragsmodell

Nun hat ein Vertragsmodell seine Schwächen: Ein Vertrag regelt das Verhältnis zwischen zwei Parteien, wobei jede Partei etwas gibt. Sind beide Seiten nicht mehr zufrieden mit dem so geschlossenen Austausch von Gütern, wird der Vertrag gelöst. Kann eine Seite nicht liefern, kommt es mitunter zum Konflikt (etwa wenn ein Teil der Bevölkerung keine Arbeitsstelle findet und der Allgemeinheit auf der Tasche liegt). Sind die Partner bei einem Vertrag ungleich, so gibt er nciht viel Sicherheit. So müssen manchmal Menschen Arbeitsverträgen zustimmen, um überhaupt eine Arbeit zu bekommen, auch wenn sie mit den Klauseln des Vetrages nicht einverstanden sind. Die wirtschaftliche Macht kann Druck erzeugen und so die Schwachen ausbeuten, was wiederum dem individuellen Egoismus der Stärkeren entspräche (man hat ja das Recht zur freien Gehaltsverhandlung) und auch für eine Deintegration der Gesellschaft sorgt (Stichwort Klassenkampf).

Das Manko des Vertragsmodells liegt daran, daß man für eine Leistung etwas kriegt und daß folglich der, der nichts leisten kann und nichts zu geben hat, auch nichts mehr bekommt. Er kann also nur aus dem Gesellschaftsvertrag aussteigen und für eine andere Gesellschaft kämpfen, was eben Deintegration bedeutet.

Vor dem Liberalismus war Garant der Intergration der Gesellschaft der Monarch, der für einen Ausgleich der Interessen zu sorgen hatte. Daß die Monarchen dies nicht taten, ist evident, und so manch einer hat in der Folge den Kopf verloren.

Der Bund

In der heutigen Übung, um nochmals darauf zurück zu kommen, ging es nun m den Gegensatz zwischen einem Vertrag als Austausch von Werten und eine Bund, der auf der Zurechnung von Würde basiert. Beim Vertrag erhält mein Partner einen Wert dafür, daß er mir einen anderen Wert ausliefert. Beim Bund schenkt man aufgrund der Würde des anderen. Er ist auch auf gegenseitigkeit ausgerichtet, aber eben anders. Ein Bund ist nicht so einfach zu lösen, wie ein Vertrag, da man zuerst dem anderen die Würde aberkennen müßte, die Geschenke zu erhalten. Da es auch nicht um das Nehmen, sondern um das Geben geht, gibt es auch gar keinen Grund, einen Bund aufzulösen.

Dieser Bundesgedanke, den wir als grundlegend für die christliche Ehe besprachen, scheint mir ach in Bezug auf die Absicherung der Gesellschaft eine interessante Alternative zum Vertragsgedanken zu sein. Wie schon gesagt, ist so ein Bund auf Dauer und Verläßlichkeit ausgelegt, und nicht auf die Befriedigung der eigenen Wünsche, wie ein Vertrag. Er bedeutet, jemanden für das, was er ist, zu würdigen. Ihr seid meine Mitbürger, deshalb zahle ich Euch zu Liebe Steuern, ohne bei der Steuererklärung z tricksen, und dergleichen mehr. Mancher behauptet, daß ein stetiges Empfangen zu einem Überschuß führen kann, so daß der Beschenkte ebenfalls etwas zurückgibt an die Gesellschaft. Dies scheint mir eher den Zusammenhalt zu fördern, als ein Vertrag, bei dem jeder weiß, was er zu Bekommen hat.

(Nebenbei: Das ist der Gedanke hinter Kreuz und Erlösung durch Christus: Er hat uns zerst geliebt, so daß wir nun lieben können)

Zur Begründung und Absicherung einer liberalen Gesellschaft, die Freiheit nicht als Freiheit von, sondern als Freiheit zu versteht, könnte diese Bundestheorie einen Beitrag leisten. Doch hat auch sie ihre Schwächen. Wenn nämlich jemand so egoistisch ist, daß er einfach alles nimmt, was er kriegt, und nichts weitergibt. Bei einem ist dies kein Problem, den kann die Gesellschaft tragen. Aber je mehr, desto schwerer wird es. Und irgendwann bleiben auch hier die Schwachen auf der Strecke.

Diese sind dann gezwungen, über das Vertragskonzept ihr Auskommen zu sichern. Möglicherweise ist so der Liberalismus überhaupt erst eintstanden. Doch scheint mir auch, daß überall dort, wo Menschen ein Auskommen haben, der Vertragsgedanke zurückzutreten und der Bndesgedanke stärker zu werden. So kann ich mich daran erinnern, als Daimler noch bessere Verträge anbot, da standen die Arbeiter hinter dem Konzern und liesen kein schlechtes Wort auf ihn kommen. Als die Rationalisierung Einzug hielt und quasi der Vertragsgedanke gestärkt wurde, baute sich das langsam ab. Inzwischen gibt es kaum noch solche Loyalitätsbekundungen zum Konzern.

Das Vertragskonzept sichert den Menschen in der Not, es führt aber über kurz oder lang zu Deintegration, wenn es über den Bereich des Geschäftlichen hinaus wirkt. Das Bundeskonzept sichert den Menschen langfristig und unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit, so lange nicht zu viele das System ausnutzen und andere in die Verträge drängen.

Ich glaube, dem Menschen ist der Bund gemäßer. Die Umsonstheit entspricht dem Menschen eher als das do ut des der Vertragswelt, bei dem man immer Leistung zu bringen hat und zunehmend nur noch danach bewertet wird. Deshalb ist zu hoffen, daß ausreichend Menschen die Möglichkeit haben, nach dem Bundeskonzept z leben, und nicht nach dem Vertragskonzept.

 

 

Comments

Comment by Ludwig Trepl on 2011-12-02 12:29:59 +0100

Ich halte diese Theorie für, sozusagen, unterkomplex, weil nur zweipolig. Dadurch kannst du nicht erkennen, was im Rahmen des „Vertragsdenkens“ möglich ist, mußt dich für den Konservativismus entscheiden und dessen offensichtliche Schwächen mit ein paar Anleihen aus dem Liberalismus kitten. Vor allem aber unterstützt das die bei heutigen Kirchenmenschen so verbreiteten ungerechtfertigten Vorwürfe gegen die säkularisierte, moderne Welt als ganze.
„Zur Absicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts haben schon früh liberal denkende Philosophen nach Strukturen gesucht, die im Rahmen des Liberalismus den Zusammenhalt garantieren können. Populär war der Gedanke eines Gesellschaftsvertrages, der in allgemeiner Übereinstimmung geschlossen wird und die Grundlagen des gesellschaftlichen Miteinanders klärt. Dabei ist es nie zu einem wirklichen Übereinkommen aller Individuen gekommen, es wird angenommen, daß im Grunde alle die gleichen Vorstellungen und Wünsche haben. Hierher gehört wohl auch der Gedanke von Kants kategorischem Imperativ.“
Kant war aber kein „liberal denkender Philosoph“ (er argumentiert gegen nichts heftiger als gegen die Ethik des Liberalismus, den Utilitarismus), sondern hatte mit dem Liberalismus nur eine Gemeinsamkeit: die des „Vertragsdenkens“; das machte das „fortschrittliche Lager“ aus. Aber das „Vertragsmodell“ ist hier ganz anders. Die demokratische, im strikten Gegensatz zur liberalen Seite dieses „Lagers“, hatte ihre Grundlage aber eben darin, daß der „Vertrag“, der den Staat begründet, ganz anders als im Liberalismus nicht auf dem „Austausch von Werten“, sondern eben „auf der Zurechnung von Würde basiert“: Es ist ein Vertrag aller Menschen – die haben „Menschenwürde“, und mittels dieses Begriffes wird in einer der verschiedenen Formulierungen des Kategorischen Imperativs dieser gefaßt.
Es wird in der zentralen Idee („volonté general“, Rousseau) gerade nicht „angenommen, daß im Grunde alle die gleichen Vorstellungen und Wünsche haben“, sondern daß ein jeder und so auch der Staat dem allgemeinen Willen entsprechend handeln soll. Das ist ein Wille, der, wenn er auch nicht in jedem vorhanden ist, doch in jedem Einzelnen vorhanden sein soll und kann. Die Willensbestimmung ist der Prüfung auf Verallgemeinerbarkeit zu unterziehen, man hat „an der Stelle aller anderen“ zu denken (Kant); der allgemeine Wille ist nicht der Wille aller (Rousseau), sondern der, den alle haben sollen, und den sie in der Tat hätten, wenn sie ihrer Vernunft folgten. Das ein vollkommen anderes Prinzip als das des liberalen Vertragsdenkens, in dem jeder aus Eigeninteresse (an der Beendigung des Hobbes’schen Kriegs aller gegen aller) einen Vertrag mit allen anderen Egoisten schließt.
Du schreibst:
„Und irgendwann bleiben auch hier [im konservativen Bundesmodell] die Schwachen auf der Strecke. Diese sind dann gezwungen, über das Vertragskonzept ihr Auskommen zu sichern. Möglicherweise ist so der Liberalismus überhaupt erst entstanden.“ – Nein, gerade nicht. Die Ideologie der Schwachen war gerade nicht die liberale, sondern die mit Rousseau und Kant skizzierte demokratische; dies im Wortsinne: Volks-Herrschaft (die ersten modernen Demokraten waren die Jakobiner, die Plebejer-Partei), Volksherrschaft auch über die erfolgreichen Einzelnen, deren Ideologie der Liberalismus war (und ist). Das Handeln des Staates ist orientiert am allgemeinen Willen und nicht am Willen derer, die jeweils den Vertrag schließen (in dem natürlich der Wille der jeweils Stärksten, vor allem wirtschaftlich Erfolgreichen zum Ausdruck kommt).
Doch ist am zitieren Gedanken auch etwas richtig: Gegen den Konservativismus bestehen auch die Demokraten auf dem Vertragsmodell: Es ist ein Vertrag von allen und im Interesse aller zu schließen; so entsteht der Staat, er ist nicht immer schon vorhanden bzw. gottgegeben, seine Gründung ist ein Akt der Autonomie. Und in einem Staat, der kein demokratischer im genannten Sinn ist (sondern ein liberaler oder konservativer), müssen die Schwachen im Einzelnen „über das Vertragskonzept ihr Auskommen … sichern“. Aber das Handeln eines demokratischen Staates orientiert sich von vornherein am Interesse aller und vornehmlich der Schwachen, weil es auf dem Prinzip der Menschenwürde beruht.

Comment by bundesbedenkentraeger on 2011-12-02 13:45:25 +0100

Ich halte diese Theorie für, sozusagen, unterkomplex, weil nur zweipolig.

Das ist sicher wahr, es war auch kein lange durchdachtes Thema, das ich hier aufschrieb, sondern ein spontaner Gedanke, den ich festhalten wollte und mit relativ ungesicherten Assoziationen zusammenbrachte. INsofern vielen Dank für den ausführlichen Kommentar.

Vor allem aber unterstützt das die bei heutigen Kirchenmenschen so verbreiteten ungerechtfertigten Vorwürfe gegen die säkularisierte, moderne Welt als ganze.

Es ist in der Tat so, daß ich in letzter Zeit bemerke, wie ich immer konservativer werde, wobei ich in meinem Selbstbild kein Problem mit der modernen Welt habe. Nicht an sich jedenfalls, was nicht heißt, daß ich keine Kritikpunkte hätte. Liberalere Lösungen wären mir sicher lieber, wenn ich sie denn sehen würde.

Vielen Dank auch für die Ausführungen zu Kant, Roussaeu et al. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir hier vielleicht auch ein Stück weit aneinander vorbeireden (meine Schuld), denn mir ging es in erster Linie um die Gesellschaft an sich, erst in zweiter Linie um den Staat und die Staatsgewalt, die eingreifen kann und einen allgemeinen Willen durchsetzen könnte. Mein Hauptaugenmerk auf der Gesellschaft rührt daher, daß ich denke, daß der Staat keine Macht zur Durchsetzung eines allgemeinen Willens hat, wenn seine Bürger zu großen Teilen nichts vom allgemienen Willen halten, sich diesem widersetzen, ihn bekämpfen.

Es ist ein Vertrag von allen und im Interesse aller zu schließen; so entsteht der Staat, er ist nicht immer schon vorhanden bzw. gottgegeben, seine Gründung ist ein Akt der Autonomie.

Genau das meine ich, möglicher Weise bin ich hier noch nicht so konservativ geworden.

Aber das Handeln eines demokratischen Staates orientiert sich von vornherein am Interesse aller und vornehmlich der Schwachen, weil es auf dem Prinzip der Menschenwürde beruht.

Solange dies unter Demokratie verstanden wird, und nicht nur eine Mehrheitsdiktatur ungeachtet der Menschenwürde, bin ich da voll dabei. Ich hatte bisher wahrschienlich zu wenig differenziert bei der Herkunft der Menschenrechte und der Menschenwürde in diesem Zusammenhang. Die Menschenrechte hielt und halte ich immer noch für demokratisches Gedankengut, die Menschenwürde gehört dann vielleicht doch eher zum demokratischen Gedankengut (wobei ich nicht davon abweichen würde, daß beides sich zum Teil auch aus christlicher Tradition speist, wobei dies vielleicht eher für die Menschenwürde als für die Menschenrechte gilt).