Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

Martin Niemöller

Freiheitsrechte betreffen nie nur eine Gruppe, sondern immer alle. Wenn auch nur einer Person ihre Freiheit genommen wird, betrifft es mich auch, denn ich könnte der Nächste sein. Und aus diesem Grund ist es geboten, das Maul aufzumachen, wenn anderen Freiheiten genommen oder eingeschränkt werden, weil es die Freiheit aller ist, die zur Disposition steht.

Ich dachte, in der Sache um das Beten in der Schule sei schon alles gesagt, auch wenn heute eine weitere Instanz sich mit dem Fall befasst hat und wieder einmal – wie die letzte Instanz – sich gegen die Religionsfreiheit des Schülers, der beten wollte entschieden hat. Ich habe bei der letzten Instanz etwas dazu geschrieben und meine Meinung seither nicht wesentlich verändert.

Heute nun hab ich einen wunderbaren Kommentar gelesen, der das Problem auf den Punkt bringt. Und dann noch einen Artikel in der Online Ausgabe des ehemaligen Nachrichtenmagazins aus Hamburg. SPIEGEL ist ja so ne Sache, wenn es um Religion geht. Das Thema, so scheint es mir, geht der Redaktion dort einfach ab. Das an sich ist ja kein Problem, jeder hat Dinge die ihm mehr oder weniger liegen als andere.

Allerdings waren in besagtem Artikel ein paar Formulierungen, die ich dann doch nicht unkommentiert stehen lassen will.

Demonstrative Gebete, egal welcher Glaubensrichtung, dienen nicht dem Schulfrieden. Sie teilen die Schulfamilie in Glaubensrichtungen auf, in Gruppen von Zugehörigen und Ungläubigen, in ein ungutes „Wir“ und „Ihr“.

Ich will jetzt einmal gar nicht darauf eingehen, ob Yunus M. hier demonstrativ beten wollte, oder einfach nur beten, ohne Demonstration, auch wenn die Frage nicht unerheblich ist und die Unterstellung im Zweifel nicht unproblematisch. Mir geht es um die Aufteilung der „Schulfamilie“.

Wie ich das sehe, ist die Schulfamilie schon geteilt. Man weiß, ob der andere Muslim ist oder Christ, ob Schiit, Sunnit oder Buddhist. Die Gräben sind da. Die Einteilung in „ungutes ‚Wir und ‚Ihr'“ ist gegeben. Die Zgehörigkeit zu den Religionen ist gegeben, und niemand, der auf dem Boden des Grundgesetzes steht, wird die Schüler gegen ihren Willen von ihrer Religion trennen wollen.

Dann ist jedoch die Frage, was ein „demonstratives Gebet“ dann für einen Schaden anrichtet. Es hat Konfliktpotential, sicher. Das ist jedoch nach allem, was man hört, auch gegeben, wenn muslimische Schüler im Ramadan etwas essen. Soll nun mslimischen Schülern um des lieben Frieden Willens das Essen im Ramadan per Schulbeschluß verboten weden? Um des lieben Frieden Willens? Oder werden nur einseitig religiöse Handlungen unterbunden, während liberaleres Handeln wie das Nichteinhalten des Fastens im Ramadan als gut, fortschrittlich und aufgeklärt angesehen wird? Die Einteilung in „Wir“ und „Ihr“ ist damit aber ebenso gegeben. Darüber hinaus gibt es kein Recht auf Mittagessen (es geht mir hier um die Zeit des Essens und nein, ich bin nicht der Meinng, daß man Schülern das Essen verbieten sollte!), im Gegensatz zum Recht auf freie Religionsausübung, das sogar Verfassungsrang hat. Ich frage mich nun, wieso hier ein Recht eingeschränkt wird aufgrund der Spannungen, wenn die Spannngen sich ebenso auf Essensfragen beziehen und hier keine Verbote asgespochen werden.

In dem Moment, in dem sich auch nur eine Person durch die Glaubensbekundungen der anderen gestört fühlt, sind diese Bekundungen in staatlichen Einrichtungen zu untersagen. Denn der Staat gewährt zwar Religionsfreiheit, aber eben auch in der negativen Variante der Freiheit von Religion.

Wäre die Ungestörtheit anderer Kriterium für das Zugeständnis von Freiheiten, hätten sich diese nie entwickelt. Alle Freiheiten mußten gegen diejenigen erkämpft werden, die sich gestört fühlten. Und noch heute stören sich Diktatoren an der freien Meinungsäußerung in ihren Völkern, die zum Teil gerade dabei sind, sich diese Rechte zu erkämpfen, und zwar nter Einsatz des Lebens.

Und wir werfen die Rechte weg. Wir sagen, die Rechte seien ja schön und gut, aber bitte nur so lange, wie sich niemand gestört fühlt, denn es gibt ja auch eine negative Religionsfreiheit.

Doch negative Religionsfreiheit, man berichtige mich, ist die Freiheit, keiner Religionsgemeinschaft angehören zu müssen. Sie bedeutet nicht, daß die eigene Intoleranz einer oder mehreren Religionsgemeinschaften und ihren Praktiken gegenüber rechtlich geschützt und höher gewertet würde als die positive Religionsfreiheit derer, die für die Störng der Intoleranten verantwortlich sind.

Niemand kann mir verbieten meine Meinung zu sagen, nur weil er sich dadurch gestört fühlt. So könnte man ja jeden recht schnell mundtot machen. Nur weil ich meine Religion frei wählen darf heißt das nicht, daß ich die abweichende Wahl, die andere treffen, bekämpfen oder unterbinden kann, weil ich mich gestört fühle. Und das gilt nabhängig davon, ob ich mich an einer staatlichen Einrichtung befinde oder nicht.

Es stimmt mich nachdenklich, daß der SPIEGEL hier eine ganz andere Linie vertritt. Diese Linie, in der nur noch erlaubt ist, was niemanden stört, muß in letzter Konsequenz zu Aushöhlung und Abbau unserer Freiheitsrechte führen, und davor graut mir.

Comments

Comment by Ludwig Trepl on 2011-12-02 13:53:05 +0100

Auch wenn man der Argumentation folgt, daß (sogenannte und wirkliche) Religionsausübungen, die andere stören, nicht erlaubt werden müssen: das Gebet in der Schulpause stört niemanden, es sei denn, ihn störe die Religion selbst, und das bedeutet, daß er sich durch jedes Zeichen dieser Religion gestört fühlt.
Das einzige, was ganz unabhängig davon viele stört und was mit gutem Grund verboten werden könnte, ist das Glockengeläut. Mir gefällt’s, es hat halt was Heimeliges, aber das ist kein hinreichender Grund, anderen damit auf die Nerven gehen zu dürfen. Angemessen wäre, es zu erlauben, wenn es zum Gottesdienst einlädt – man gestattet anderen ja auch, auf lärmende Weise auf ihre Veranstaltungen aufmerksam zu machen. Aber das demonstrative andauernde tägliche Läuten in aller Herrgottsfrüh, wenn viele oder die meisten noch eine Runde schlafen wollen – wie könnte darauf ein Recht begründet werden?

Comment by bundesbedenkentraeger on 2011-12-02 14:08:58 +0100

Aber das demonstrative andauernde tägliche Läuten in aller Herrgottsfrüh, wenn viele oder die meisten noch eine Runde schlafen wollen – wie könnte darauf ein Recht begründet werden?

Weiß ich nicht, Mir geht es da wie Dir: Ich mag es, hat was von Heimat und Wohlfühlen.
Mir fällt nur ein, daß man argumentieren könnte, das gehört zum Betriebslärm der Kirche. Ebenso wie ich am Bahnhof und an der Autobahn mit Lärmbelästigung zu rechnen habe, muß ich das auch bei Kirchen erwarten. Die Frage ist halt, ob man darauf verzichten könnte, und da würde ich sagen: Beim Gottesdienst sicher nicht. Das gehört da dazu wie die Lautstärke beim Rockkonzert da eben auch. Aber das alltägliche Geläut? Ich müßte mir halt wieder ne Uhr zulegen, um die Zeit abschätzen zu können, aber ich denke, das ist hinnehmbar…

Comment by interplanetar on 2011-12-07 17:12:37 +0100

Religion ist völlig uneindeutiger Begriff.
Mensch ohne Rückbindung weiß ich nicht.
Zu Gebeten in der Öffentlichkeit gibt es nicht nur Text in Buchfettichen. (Lieder plärren, Beten auf Gassen, um gesehen zu werden, usw.)
Gültiges Gesetz. § 167 http://dejure.org/gesetze/StGB/167.html.
Art und Weise zu leben, kann Mensch viel haben.
Zwischen vermeidbarem Lärm und unvermeidbarem Lärm, ist genauso Unterschied wie zu Liebe und Eifersucht. Variablen gibt es dann auch noch. Existenzielle Not der Frommen? Klagen gegen Person Gott kann der Staatsanwalt nicht bearbeiten.

Comment by interplanetar on 2011-12-08 04:33:34 +0100

Zu § 167 http://dejure.org/gesetze/StGB/167.html.
Ergänzend: Im besagtem § geht es um dem Schutz von Versammlungen, in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten, nicht um öffentlichem Glaubensschutz.
Es gibt auch Kunstfreiheit, der aber rechtlich kein existenziell notwendiger Zweck zugeschrieben wird, wenn es beispielsweise ranziger Butterfleck ist. Ein zerstören des ranzigen Butterfleck, im Museum, ist verboten, nicht die Kritik am ranzigen Butterfleck im Museum. Eine Monstranz stehlen, unter Denkmmalschutz stehende Gebäude demolieren, wird schwerwiegend bestraft. Aber keiner muss die Monstranz anhimmeln.
Es besteht keine staatliche Missionspflicht. Es besteht auch kein Verbot. Eine Idee als Solches ist erst mal genauso wertfrei wie Manipulation. Mensch kann nicht ohne Vorstellung, damit auch Vorurteil sein. Mensch kann nicht nicht beeinflussem.
Aber zur Werbung zählt auch das Werbegesetz. Versuch zu täuschen, mit lange Widerlegtem, Unbewiesenem und Selbstdarstellung: „Wir Christen…..“ ….keinerlei Rechtschutz im Angebot für die Menschen die man einfangen will, ist letztlich Tamtam, wie mit Kleider ohne Kaiser. „Verantwortungslos, allein aus Glaube selig!“

Comment by Bundesbedenkenträger on 2011-12-08 10:15:45 +0100

„Versuch zu täuschen, mit lange Widerlegtem“
Na was ist denn widerlegt? Gott? Wär mir neu 😉

Comment by interplanetar on 2011-12-14 21:38:19 +0100

Ich weiß nicht wieviele Götter es gibt, geben soll.
„Die“ Bibel gibt es jedenfalls nicht. Und es sind unglaublich viele, mit Erdichtungen.

Anfangsmoment ist der Wissenschaft unbekannt.
Wenn du ein Wort brauchts dem du deine Phantasien andichten kannst, erfinde eines, um damit zu delegieren, preisen indirekt zu empfangen.

Sprache ist von Stimmbänder und von Gehirn abhängig. Das Wort stammt von Menschen, die von Tieren lernten.
Deine Schreibweise „Gott“ , Ausprache war garantiert nicht immer.
Gegenfragen
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Hast du dich mal mit Linguistik befasst?
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Götter waren und sind wie Sand am Meer.
Eine Wortschöpfung erfinden,ihr etwas andichten, tun auch kleine Kinder. Imaginärer Freund.