Nachdem ich vor ein paar Tagen was zum Piraten-Thema der direkten Demokratie geschrieben hab, nun auch mal was zur Transparenz. Ich hab jetzt beim schnellen Überfliegen der Piratenpads etc der Piratenfraktion (audio geht bei mir grad nicht) das nicht gleich gefunden, aber im Freitag ist die Rede davon, daß es scheinbar zu einem Disput darüber kam, was alles öffentlich sein sollte.

Ich finde es besonders wichtig dabei, sich in Erinnerung zu rufen, daß Deutschland, ob man das nun mag oder nicht, eine repräsentative Demokratie ist und keine Räterepubik (dieser Begriff impliziert hier keine Abwertung).

In der Räterepublik konnten Delegierte sofort abgerufen werden, wenn sie nicht die Ansicht der Mehrheit ihrer Basis repräsentierten. In Deutschland hingegen ist der Parlamentarier an Weisungen nich gebunden und nur seinem Gewissen verpflichtet. Das bedeutet, daß er prinzipiell auch anderer Ansicht sein kann und prinzipiell auch alleine agieren kann, ohne auf seine Partei Rücksicht nehmen zu wollen.

Darüber hinaus ist zu beachten, daß ein Parlamentarier auch eine Privatperson ist in gewissem Umfang. Er wurde mit seiner Ansicht gewählt, damit sitzt auch immer ein Stück weit die Privatperson mit im Parlament.

Das alles ist so von der Verfassung gewollt, also denke ich, die Piratenpartei täte gut daran, als Grundgesetzpartei die sie sein will (und imho weitgehend ist), das zru Kenntnis zu nehmen.

Zurück zur Transparenz. Grund für die Transparenz ist es doch, daß der Bürger, also vor allem ich (und natürlich genau so Ihr alle anderen auch) nachvollziehen können, welche Gründe für eine Entscheidung eines Parlamentariers ausschlaggebend waren. Dies kann dann als Kriterium herangezgen werden, was man selbst von der Arbeit des jeweiligen Parlamentariers hält.

Nehmen wir mal zum Beispiel zwei Parlamentarier als Beispiel:

Parlamentarier 1 trifft sich in dunklen Kammern mit Unionspolitikern und Lobbyisten und kriegt viele Milliarden versprochen, um VDS, Zensur und Realnamenpflicht im Netz zuzustimmen.

Der fragliche Parlamentarier wird nicht bei der Klüngelei überführt werden können, da sich diese in seinem Privatbereich abspielt. Er wird aber fürall diese Punkte werben und irgendwelche Gründe anführen, die er im Zweifel selbst nicht teilt. Die Transparenz sorgt dafür, daß er in den Fraktionssitzungen bei Besprechungen zum Thema dumm rüberkommt. Das wird seine Wiederwahl gefährden. Loswerden kann man ihn jedoch nicht (höchstens vielleicht aus der Fraktion schmeißen).

Parlamentarier 2 macht sein ganzes Leben öffentlich, um ja alles transparent zu machen. Es könnte ja auch ein Gespräch am Gartenzaun sein, das ihn zu einer wichtigen Einsicht brachte. Er wird folglich eher überzeugt auftreten können in öffentlichen Fraktionssitzungen und wahrscheinlich auch überzeugen. Das strikte Einhalten der Transparenzforderung und die bessere Argumentation (besser, weil er glaubt was er sagt) wird ihm die Wiederwahl einfacher machen, da ja genau das gefordert wird.

Parlamentarier 3 legt Wert darauf, seine Privatsphäre zu schützen, auch wenn er „im Job“ alles öffentlich machen will. Er schützt die Privatsphäre seines Nachbarn, der ihm gute Ideen steckt. Ebenso schützt er die Privatsphäre derjenigen Politiker der Konkurrenz, die ihm vielleicht auch das eine oder andere stecken (wie war das nochmal mit Whistleblower-Schutz?). Er wird icht für jede seiner Ansichten genau darlegen können, von wem er diese hat, er wird aber ebensogut argumentieren können. Trotzdem wird er tandenziell größere Probleme mit der Wiederwahl haben, weil er nicht so radikal ist wie Parlamentarier 2.

Ich meine nun, der Idealfall ist aber eben dieser letzte Parlamentarier. Nr 1 macht Hinterzimmerpolitik. Das soll nicht sein. Nr 2 zwingt aber alle anderen zur Offenlegung. Das Argument, daß man ja offen sein könne, wenn man nichts im Schilde führe wäre auch nichts anderes als das Gewäsch der Konservativen in Bezug auf Massenüberwachung etc.

Daher halte ich es für die Transparenz für ausreichend, wenn ein Parlamentarier – in welcher Form auch immer – seine jeweilige Position begründet darlegt und seine Wissensquellen (Statistiken, Studien, etc) offenlegt. Das ist für mich die Quintessenz der Transparenz. Im Idealfall macht er die Quellen auch noch als Link in seiner Begründung für eine Entscheidung direkt verfügbar, daß man nicht lange suchen muß. Da brauche ich auch keine öffentlichen Fraktionssitzungen. Wobei natürlich diese Fraktionssitzungen selbst als Erkenntnisquellen dienen können, was wiederum bedeutet, daß ein allgemeiner Zugriff sinnvoll wäre.

Ein Hinterzimmergespräch mag nicht schön sein, aber Argumente, die dort ausgetauscht werden, dürften auch in der Öffentlichkeit unter Schutz derjenigen, die sie zuerst nannten, überzeugen. Daher habe ich nichts gegen „geheime Gespräche“, allerdings möchte ich dann, wenn es zu Entscheidungen kommt, diese begründet haben, um mir selbst ein Bild machen zu können. Ich bin immerhin etwa ein 80-Millionstel Souverän dieses Staates, insofern sollte ich wissen, was diejenigen umtreibt, die auch mir im Parlament dienen.

Comments

Comment by Johannes Brakensiek (@letterus) on 2011-09-23 12:51:15 +0100

Grundgesetz-Partei? Ich hab da letztens was gelesen von wegen „Liquid Democracy“, das kling eher nach Abschaffung des Parteiensystems und der Diktatur einer Software. Finde den Blogeintrag leider gerade nicht mehr.
Demokratietechnisch bin ich bei den Piraten sehr misstrauisch. Ich weiß weder, ob sie unser Grundgesetz verstanden haben, noch ob sie es tatsächlich für erhaltenswert halten.

Comment by Bundesbedenkenträger on 2011-09-23 14:04:28 +0100

Aus meinen Erfahrungen mit den Piraten habe ich den Eindruck, daß sie das GG für erhaltenswert halten (ich meinte auch GG-Partei als Selbstanspruch gelesen zu haben, so war das auch hier gemeint, als Erinnerung an den Selbstanspruch). Allerdings, und da geb ich Dir Recht, scheinen sie es noch nicht ganz verstanden zu haben (gerade was Staat und Kirche angeht, da hab ich aber auch vernünftige Stimmen gehört).
Bei Liquid Democracy (ich fand das nie so besonders interessant) handelt es sich, soweit ich weiß, um eine Software aber auch um ein Verfahren. Theoretisch müßte das also auch softwarelos implementierbar sein.
Allerdings bin ich auch da skeptisch, ob man die Politikfelder so abgrenzen kann, daß man einzeln Delegationen machen kann…
Wie bereits gesagt bin ich bei den ganzen Tendenzen von wegen direkter Demokratie auch skeptisch. Grundsätzlich denke ich aber, daß sich das im Politikalltag noch zu etwas Vernünftigem abschleifen wird und hoffe, daß der Freiheitsgedanke erhalten bleibt und eine gute Kommunikation mit dem Bürger.

Comment by Johannes Brakensiek (@letterus) on 2011-09-23 21:40:17 +0100

Ja, die Gedanken hatte ich auch schon.
Hoffe, dass dein Optimismus realistisch ist. 🙂

Comment by Bundesbedenkenträger on 2011-09-23 23:34:18 +0100

Realisms ist was für Weicheier 😀