Bald ist wieder Ostern, und davor Karfreitag. Und wer da tanzen gehen will, könnte ein Problem kriegen. Denn in Deutschland gibt es an bestimmten Feiertagen das Tanzverbot, das dafür sorgt, daß das Volk den Tag in gebührendem Ernst begehen kann.

Leider nimmt die Zahl der Christen in Deutschland beständig ab. Hier in Pommern hatte die Landeskirche in den 50er Jahren des 20 Jhd. noch 700.000 Glieder. Die DDR-Propaganda hat es geschafft so viele Leute aus der Kirche zu treiben, daß es heute nur noch 96.000 Glieder sind. Für 2040 wird erwartet, daß nun noch 50.000 Menschen in Pommern Glieder der Landeskirche sind (die aber dann Teil der Lutherischen Kirche im Norden sein wird).

Der Rückgang der Christenzahlen führt dazu, daß es nicht mehr selbstverständlich ist, daß etwa der Karfreitag und andere Feiertage als Stille Tage akzeptiert werden. Menschen ohne Glauben oder mit anderem Glauben wollen nicht von der ehemals prägenden Religion in ihrer Freizeitgestaltung eingeschränkt werden. Sie wollen vielleicht an anderen Tagen Ruhe finden, nicht gerade an denen, die die Christen dazu ausgewählt haben.

Ich denke, sie haben Recht. Eine plurale Gesellschaft kann nicht derart von einer bestimmten Kultur geprägt werden. Nur weil ich als Christ am Karfreitag nicht in die Disco gehe, muß ich nicht Achmad, Mandy und Rene zwingen, es mir gleich zu tun. Und ich will auch nicht, daß der Staat das tut. Das ist ja das Anachronistische daran: Der Staat ist es, der gemäß der religiösen Vorstellung einer Religion für alle Bürger festlegt, an welchen Tagen nicht getanzt wird.

Würden die Kirchen sagen: Liebe Gläubige, am Karfreitag bleibt Ihr schön zu Hause von der Disco, wäre das ja noch in Ordnung. Jeder kann selbst entscheiden, ob er einer Kirche angehören will und inwieweit er sich ihren Vorgaben unterwirft. Aber die Kirche macht hier keine Vorgaben. Sie bleibt aßen vor. Handeln tut der Staat. Und wer ein bißchen im Netz sucht, findet auch einiges zu Tanzverboten, Gerichtsverfahren und Protesten.

Die Tanzverbote fallen in den Bereich der Kultur, und für den sind die Länder zuständig. In meinem Heimatland Rheinland-Pfalz gibt es nun eine Petition zur Abschaffung des Tanzverbots an den christlichen Feiertagen. Argumentiert wird, daß die Gläubigen auch wenn getanzt wird in ihrer Religionsausübung nicht gestört werden. Was ich nicht ganz verstehe ist, warum der Volkstrauertag ausgenommen wird in der Petition, denn auch dann muß das Tanzen der einen nicht das Trauern der anderen stören. Insofern ist die Petition hier nach meinem Dafürhalten nicht konsequent, aber sei’s drum.

Ich meine, auch wenn es zu Störungen kommen sollte: In einer pluralen Gesellschaft sind wir angehalten, einander zu ertragen. Die Nichtchristen ertragen die Kirchenglocken, wieso sollten die Christen nicht das Tanzen und die Musik der Nichtchristen ertragen? Man könnte ja leise darauf hinweisen, wenn es tatsächlich zu Störungen kommen sollte. Aber ich denke, per Staatsmacht die Störungsfreiheit einzufordern führt nirgendwohin. Außerdem: Wer will denn schon gezielt stören? Es dürften wenige sein. Und die werden ach den Spaß verlieren, wenn man sich nicht provozieren läßt.

Also was spricht noch dafür, daß der Staat den Kirchen eine Ruhe garantiert, die diese so wahrscheinlich gar nicht brauchen (es gelten ja weiterhin die Lärmschutzbestimmungen), während dabei Leute in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, und am Ende vielleicht noch die Schuldigen in den Kirchen suchen, die an sich gar nichts mit der Sache zu tun haben?

Deshalb möchte ich allen ans Herz legen, die Petition mitzuzeichnen, das können auch Menschen sein, die nicht in Rheinland-Pfalz leben, so wie ich. Die Petition findet sich hier.

Update: Über @Herusche hab ich erfahren, daß es auch in Hessen eine Petition gibt. Wieder wird, für mich unverständlich, der Volkstrauertag ausgenommen. Lustigerweise werden Neujahr und der 1. Mai (sic!) als christliche Feiertage bezeichnet (da sieht man wo Bildungspolitik der CDU hinführen kann).

Comments

Comment by ostsachse on 2011-04-16 09:22:01 +0100

Lieber Bundesbedenkentraeger,
im Großen Ganzen kann ich Ihrem Beitrag nur zustimmen – bis auf eines.
“ Die DDR-Propaganda hat es geschafft so viele Leute aus der Kirche zu treiben, daß es heute nur noch 96.000 Glieder sind“. Dieser Satz ist mir zu pauschal und wird seit der „Wende“ immer wieder kolportiert und alles stimmt zu, einmal weil es eine sehr einfache Erklärung ist und jede kritische Erarbeitung als unnötig erscheint, zudem, weil der, der nicht zustimmt, in der Regel sofort als Nostalgiker und was weiß ich noch beschimpft wird. Auf die Gefahr des Letzteren hin möchte ich als einer, der den bisher größten Teil seines Lebens in der DDR verbracht hat, „Widerspruch“ zumindest gegen die Pauschalisierung einlegen. Der Druck der DDR war massiv, das ist nicht zu bestreiten. Er kann aber nicht als alleinige Erklärung für den Rückgang der kirchlichen Zahlen gelten. Seit Ende des konstantinischen Zeitalters spätestens 1933 haben die Kirchen mit Rückgängen zu kämpfen (ich habe in den Akten meiner früheren Gemeinde Päckchen mit Austrittserklärungen aus den 20er Jahren gefunden, deren Anzahl erschreckend hoch war…). Der Druck der DDR hat auch deutlich gemacht, (und manche Fehler der Kirchen!) wie gering die Bindung der damals noch traditionellen Christen an die Kirchen war. Im Westen war der Druck nicht spürbar, also blieb man bei der Kirche, immerhin gab es manchen Job nur mit Kirchenmitgliedschaft. Ein eindrückliches Beispiel: Ein Ehepaar aus meiner Gemeinde hat sich konfirmieren bzw taufen lassen (ich wußte nicht, dass nebenbei der Ausreiseantrag lief), das Argument erfuhr ich später: da hat man im Westen mehr Chancen. Und tatsächlich er bekam einen guten Job in einer Kirchgemeinde. Nach 1989 kamen sie zurück und traten sofort aus der Kirche aus. Die Tochter wurde sofort vom Konfi abgemeldet. Ich würde auch gegenhalten, dass in der BRD die Zahlen ebenfalls rückläufig waren, wenn auch weniger dramatisch, zumal dort umgekehrt eben auch eiune starke soziale Kontrolle herrschte und in manchen Gegenden bis heute. Es wäre interessant, die verschiedenen Nuancen in der DDR herauszuarbeiten, die insgsamt dann zu einem so massiven Abfall geführt haben. Interessant war übrigens um 1990, dass die Kirche im Osten (ich kann mich nur auf Sachsen berufen) massiv versucht haben, westliche Verhältnisse wieder herzustellen, auch unter dem westliuchen Druck „jetzt seid ihr doch bei uns, jetzt wird es auch wieder wie (bei uns) früher. An der Konfirmationsfrage kann ich das auch belegen. Nun denn, es ist ein weites Feld, aber ich konnte es nicht lassen, dieses heiße Eisen anzusprechen. Es muß aufhören mit diesem nur wegen der DDR haben die Kirchen einen Abbruch erlebt. Eine Ursachenforschung wäre dienlicher, für die Konfirmations-und Jugendweihefrage hat einst Rolf Degen herrvorragend einiges erarbeitet.

Comment by Bundesbedenkentraeger on 2011-04-16 11:56:53 +0100

Danke für den Beitrag. Ich glaube auch nicht, daß es NUR die DDR Propaganda war. Sie hat jedoch, so scheint es mir jedenfalls, dazu geführt, daß die Zahlen so hoch waren. Das mit den Jobchancen ist so ne Sache. Bei den Parteien wird man ja auch nicht jeden Job kriegen, wenn man das Parteibuch vom politischen Gegner hat. Aufgrund der Größe der Kirche fällt es jedoch stärker ins Gewicht.
Sicherlich gab es den Trend zum Austritt schon vorher und auch später bis heute ebenfalls im Westen. Die Menschen haben nicht mehr den Bezug zur Kirche, vielleicht glauben sie auch nicht mehr. In meinem direkten Umfeld gibt es einen Fall, der Mann glaubt noch, ist aber nicht einverstanden damit, wie die Kirche das Geld einsetzt. Er wollte erst dazu übergehen, den jährlichen Betrag, den er sonst für Kirchensteuer aufwand der Ortsgemeinde zu spenden, bis der Pfarrer von dem Geld zur Konfi-Freizeit ein zweites Begleitfahrzeug finanzierte, statt dem Jungen, dessen Eltern sich die Fahrt nicht leisten konnten, die Fahrt zu ermöglichen (das war damals noch ne reine Freizeit ohne Konfirmandenunterricht wie heute oft üblich).
Die Frage ist nur: Wie wird kann die Kirche für die Menschen wieder eine Rolle spielen? Es gibt viele Projekte und Aktionen, die sicher ach alle ihre Berechtigung haben. Aber oft hab ich den Eindruck, man unterschätzt die Basis und startet die Aktionen von oben. Ich hör jetzt lieber auf, sonst schreib ich mich noch in was rein.

Comment by ostsachse on 2011-04-16 12:40:43 +0100

Ja,da könnt ich mich auch reinschreiben, ich würde aber gern paar Gedanken und Erfahrungen loswerden, die zumindest für mich Schlüsselfunktion haben. Ob es dann am Ende diese Kirche ist, die Menschen gwinnt, ist für mich offen, Bonhoeffer schrieb damals an sein Patenkind „wenn du groß bist, wird sich die Gestalt der Kirche sehr verändert haben“. Manchmal frag ich mich, was sich bisher wirklich verändert hat (falls er recht hatte), viel entdecke ich nicht, sagen mir mal seit meiner Konfirmation. Vielleicht poste ich noch mal, jetzt genieße ich erst mal den schönen Sonnenschein. Ich will Sie natürlich nicht in eine Diskussion treiben, wovon wir dann nicht unbedingt das Gefühl haben, die KirchenWelt zu verändern. Zum anderen: wer denn sonst…..? *g*

Comment by tomruedell on 2011-04-20 09:30:25 +0100

Hi,

schöner Text, sauber argumentiert und dabei Einseitigkeit vermieden.

Hier eine Anekdote zum Thema aus dem ansonsten sehr schönen Trier:

http://actiondoeslouder.wordpress.com/2011/04/20/erinnerungen-an-das-tanzverbot-%e2%80%93-leider-noch-kein-nachruf/

Schöne Grüße,
Tom

Comment by Bundesbedenkentraeger on 2011-04-20 09:52:01 +0100

@ostsachse:
Diskussion ist nie schlecht. Ich denke Reform muß, wenn, dann von unten kommen. Dazu ist es aber nötig, daß dort der Reformdruck von Pfarrern und Presbytern erkannt wird. Und daß man in den oberen Etagen damit klarkommt, daß die Lösngen in Ostsachsen anders aussehen (müssen) als in der Westpfalz oder in Pommern oder Berlin-Marzahn…

@Tom:
Danke für’s Lob.

Comment by ostsachse on 2011-04-25 12:52:51 +0100

@Tom: Mich hat die Geschichte aus Trier sehr nachdenklich gemacht und spätestens beim §6 der Veranstaltungsordnung ist mir ein Kuriosum aus meiner DDR-Pfarrerzeit eingefallen. Irgendwie hat es damit was zu tun, vor allem damit, wie Willkür an erster Stelle steht und die Formen fix gefunden werden. Obs hierher passt, ich weiß es nicht, aber ich erzähls einfach.
In der DDR galt die Regelung, dass „religiöse Betätigungen“ selbstverständlich erlaubt seien. Das heißt, mindestens Gebet und Segen oder so was, war immer nötig. Einmal hatte ich in der Nachbargemeinde per Gemeindebrief einen Dia-Abend über mein früheres Leben als Bergsteiger angeboten. Prompt stand nicht das Ordnungsamt an der Tür, sondern der Referent für Kirchenfragen beim Rat des Kreises. Herr Pfarrer, sie wissen doch…Ich wußte, und darum sagte ich ihm, dass ich eine Andacht halte über Gottes schöne Schöpfung….und wir auch singen.
Er wußte nichts von Gottes Schöpfung, aber er war zufrieden. So haben wir sogar mit der Jungen Gemeinde Fasching gefeiert. Immer funktionierte das nicht. Eine Jugend-Freizeit wurde aufgelöst, obwohl wir Bibel lasen und beteten – es „fehlte“ ein Feuerlöscher im Schlafraum. Eigentlich hat sich nicht viel geändert. Es bleibt immer gleich, wenn Menschen Macht ausüben wollen und sie haben. Und mit der Religion geht das – so oder andersrum – besonders leicht. Mein SED-Nachbar hat am Karfreitag die Kreissäge laufen lassen und es ging. Heute wäre Tanzen verboten – und es geht auch. Seltsame Welt.