Wie kann Gott das zulassen? Das ist die Theodizeefrage. Immer wieder wird sie gestellt, vor allem bei großen Katastrophen. So habe ich mich auch schon beim Erdbeben auf Haiti damit beschäftigt. Damals fragte ich mich vor allem: Wieso Gott, wo ist unser Anteil? Heute kam mir ein anderer Gedanke, den ich hier teilen will:
Es gibt auf die Theodizeefrage keine befriedigende Antwort. Wenn einer eine kennt, bin ich gespannt sie zu hören, bis ich sie jedoch höre, gehe ich davon aus, daß sie nicht existiert.
Ob nun in Japan, damals auf Haiti, 2004 im Indischen Ozean oder wann und wo auch immer: Die Frage wird gestellt, wo der Mensch keinen Sinn mehr sieht.
Ich ebe mein Leben und versuche ihm einen Sinn zu geben. Etwa, indem ich meinen Job gut mache, oder mich besonders um meine Mitmenschen kümmer. Oder indem ich größtmöglichen Lustgewinn für mich anstrebe, wie auch immer. Man gibt seinem eben einen Sinn, ohne Sinn, macht es keinen Sinn zu leben, selbst zu leben. Man könnte genausogut tot sein.
Wer nichts (mehr) von seinem Leben hat oder zu haben glaubt oder erwartet, ist oft nicht weit vom Suizid. Der Sinn ist es, der uns leben läßt. Nicht körperlich, sondern seelisch. Und dieser Sinn geht verloren, wo wir mit (übermäßigem) Leid konfrontiert werden.
Man lebt sein Leben, arbeitet vor sich hin, hat ein Ziel vor Augen und rechnet damit, daß alles seinen Gang geht nach gewissen Gesetzen. Etwa, daß gute Arbeit belohnt wird. Oder daß eine gewisse Tat das Wohlbefinden eines Menschen verbessert oder verschlechtert. Einfach die Regeln, nach denen wir versuchen, nach vorne zu kommen. Katastrophen brechen diese Regeln. Egal wie hart der Arbeiter an der Ostküste Japans arbeitete, um seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen, um seine Kinder an eine gute Uni schicken zu können. Nach dem Erdbeben und dem Tsunami sind die Kinder tot, die Frau vermisst und das Haus zerstört. Er selbst vielleicht noch verstrahlt. Viele harte Arbeit, immer nach den Regeln gespielt, die dem Leben Sinn gaben, nämlich das gute Leben für die Kinder, und nun alles umsonst, das Ziel nicht erreich.
Auch wenn wir hier in Europa nicht direkt betroffen sind sehen wir das, und wir machen uns Sorgen. Etwa, daß es uns auch so ergehen könnte. Und theoretisch weiß auch jeder: Morgen könnte ich vom Auto überfahren werden, und alle Anstrengung war umsonst. Aber wir verdrängen das, denken nicht daran, versuchen vielleicht noch Risiken zu minimieren, indem wir nicht gerade nach Libyen in den Urlaub fahren, aber im großen und Ganzen spielen wir nach den Regeln, die den Normalfall beschreiben. Hier definieren wir unseren Lebenssinn. Wenn nun aber eine Katastrophe die Regeln in Frage stellt, stelt sich damit auch die Frage, wie das mit dem Lebenssinn ist: Hat es noch Sinn, zu arbeiten, um den Kindern eine gute Uni zu ermöglichen? Was, wenn sie morgen vom Bus überfahren werden? Was, wenn mir etwas zustößt? Was, wenn es trotzdem nicht klappt? Was, wenn irgend eine andere Katastrophe hereinbricht so wie jetzt über die Japaner? Hat es überhaupt noch einen Sinn, sein Leben angesichts dieser Unberechenbarkeit zu leben?
Christlich umformuliert wird dies dann zu: Wie kann Gott das zulassen? Er, der die Regeln für das Miteinander bestimmt (zumindest in der Theorie bei Gläubigen), sollte doch dafür Sorge tragen, daß wir Menschen unbeheligt bleiben von derlei Störungen des Betriebsablaufes. Die Frage ist: Warum tut Er das nicht? Hätten wir eine Antwort, könnten wir weitermachen, ohne in der Folge weitere derartige Katastrophen zu befürchten, wir würden uns einfach an die neuen, erweiterten Regeln halten, um kein darum zu produzieren. Daß das als Machtmittel mißbraucht werden kann sieht man durch die ganze Geschichte, und noch heute sehen Spinner aller Couleur in Katastrophen die Rache Gottes für alle möglichen Dinge, die ihnen persönlich nicht gefallen, von der sexuellen bis zur religiösen Orientierung bis zu sonstigen denkbaren und undenkbaren „Verfehlungen“.
Diese Antworten sind aber keine Antworten, sondern Machtmittel. Und als solche müssen sie denunziert werden, damit sie möglichst wenige Opfer nach sich ziehen (jedes einzelne ist eine Katastrophe für sich). Ich bleibe aber dabei, Antworten auf die Warum-Frage gibt es nicht. Jedenfalls nicht hier.
Es gibt jedoch immer wieder die Behauptung, Glaube helfe. Ich denke das auch. Jedoch nicht, indem er die brennende Frage nach dem Warum beantwortet. Er macht sie allerdings irrelevant.
Im Glauben an Gott kann man die Frage nach dem Warum Gott überlassen. Glaubt man an Gott so glaubt man auch, daß Er sich um die Opfer kümmert. Die Toten sind bei für den Gläubigen bei Ihm geborgen. Die Überlebenden und Hinterbliebenden sind uns überlassen, auf daß wir als Abbilder Gottes (Gen 1) uns um sie kümmern, ihnen beistehen und aufhelfen in der Not und Trauer.
Es beantwortet nicht die Frage nach dem Warum, aber es zeigt einen Weg aus der Katastrophe, die die Warum-Frage aufwirft heraus in eine Situation, in der wieder Hoffnung herrscht und die Warum-Frage wie vorher in den Hintergrund rückt, weil das Leben wieder neuen Sinn gefunden hat.
So haben dann auch die Hetzer von der Schnellantwortensorte ihre Machtmittel verloren, denn ihre Erklärungen werden nicht mehr benötigt und so können sie auch keine Angst mehr unter den Leichtgläubigen verbreiten.
Comments
Comment by Christopher on 2011-03-18 12:17:27 +0100
Die Frage „Warum lässt Gott das zu?“ halte ich für falsch formuliert. Es muss heißen: „Warum macht Gott das?“ Die Antwort darauf bleibt freilich ebenso im Dunkeln, wie Du oben schreibst.
Comment by jjh on 2011-03-21 18:41:31 +0100
Zunächt einmal halte ich die Frage „Warum lässt Gott das zu?“ auß einem anderen Grund als Christopher für falsch formuliert: Der Grund ist die Unmöglichkeit der Beantwortung. Vielmehr hat Gott zu jeder Zeit das Recht, nach seinem Ratschluss zu handeln; auch Menschen zu töten – denn jeder verdient den Tot. Gott wird niemals etwas ungerechtes tun. Wieso sollten wir mit Gott rechten? Darin liegt das Problem.
Und wenn wir schon rechten wollen, dann sollte die Frage heißen: Warum hat es nicht mich getroffen?
Comment by Bundesbedenkentraeger on 2011-03-22 08:52:18 +0100
Die Unmöglichkeit einer Antwort ist an sich ja noch kein Grund gegen eine Frage. So kann eine Frage, auf die es keine Antwort geben kann gerade diese Einsicht zu Tage fördern. Insofern wäre die Frage dann gut und berechtigt, nicht, um iene Antwort zu erhalten, sondern um die Unmöglichkeit der Antwort zu erkennen.
Du schreibst, Gott habe das Recht, Leben zu nehmen. Dogmatisch ist das erst einmal richtig. Denn christlich verstanden ist Gott ja derjenige, der Recht setzt, also es definiert. So kann per Definition Gott nichts tun, was Unrecht ist. Selbst wenn Er die größten Grausamkeiten täte, wären sie rechtens.
Viel mehr noch könnten wir etwas gar nicht grausam nennen, wenn Gott es tut, denn das würde ein von Gott unabhängiges Wertesystem voraussetzen, welches dann über Gott stünde. Damit hätte man aber Gott zum Nichtgott und das Wertesystem zum (toten) Gott gemacht. Ergo kann man Gott nur grausam nennen, wenn man vorher Gott die Göttlichkeit abspricht, sich also außerhalb des Glaubens stellt.
Soweit zur Dogmatik. Das Leben besteht aber nicht nur aus Dogmatik. Wir sind Menschen, die nicht perfekt sind und nie perfekt sein können, so sehr wir uns auch anstrengen, jedenfalls nicht bis zur Theosis, aber da ist noch hin.
Deshalb zweifeln wir, immer wieder, und das bedeutet eben auch, Gottes Göttlichkeit zumindest in Zweifel zu ziehen. Und dann stellt man sich doch die Frage „Wieso macht Gott das/läßt Gott das zu?“. Das Wertesystem, das man dabei anlegt, leitet sich unter Umständen aus dem ab, was man bisher von Gott gewohnt war, wir haben ja as Gläubige schon eine Vorstellung, was rechtens ist und was nicht.
Dogmatisch müssen wir uns dann Gedanken machen, was wir bisher falsch verstanden haben, und wie wir unser eingeübtes Wertesystem weiterentwickeln, um es der Wirklichkeit anzunähern, die wir erfahren. Das ist die normale theologische Entwicklung.
Aber Dogmatik ist eben erst einmal emotionslos. Wir Menschen nicht. Und deshalb rechten wir immer wieder mit Gott, das gehört zum Menschsein dazu. Zweifel gehört zum Glauben, wer nicht zweifelt, sollte sich Gedanken machen, wie es um seinen Glauben steht, ob er mit dem Herzen dabei ist, oder nur mit dem Kopf theoretische Erwägungen nachvollzieht und danach handelt, ohne daß sein Herz dabei wäre.
Sicher kann man sich die Frage stellen: Warum tötet Gott mich nicht? Doch Hand aufs Herz: Was wäre hier die Antwort? Ich denke, die selbe wie bei der anderen Frage auch: Es gibt keine. Denn die Antwort: „Weil Er Dich liebt“ kann da nicht passen, wo dann doch Menschen getötet wurden. Liebte Er die nicht? Und schon sind wir wieder bei der Theodizee.
Comment by Marco on 2011-04-01 11:38:53 +0100
Finde ich lustig, was Sie hier schreiben!
Als ehemaliger (und mittlerweile vollständig geläuterter) Christ finde ich es immer wieder faszinierend, welche intellektuellen Höchstleistungen auf nahezu Meta-Ebene fromme Christen unternehmen, um faktische Widersprüche und Sinnlosigkeiten in ihren Glaubensansichten doch noch mit einer für sie annehmbaren Erklärung zu versehen. Ich habe noch eine weitere mögliche Antwort auf Ihre Frage „Warum lässt Gott das zu?“. Sie lautet: Weil es keinen Gott gibt! Ich finde es interessant, dass diese Option für Sie (und viele, viele andere) gar nicht in Frage kommt. Dabei hat bis heute niemand die Existenz Gottes in einer wie auch immer gearteten Weise beweisen können.
Am seltsamsten finde ich das Resümee, dass Sie am Ende ziehen: es gibt keine Antwort. Das ist für mich ein klassischer Flucht- und Verleugnungsreflex. Anstatt anzuerkennen, dass in einer Philosophie nicht zu leugnende Widersprüche stecken, legt man sich lieber darauf fest, dass die Antwort auf diese Widersprüche ist, dass es keine Antwort gibt. Weil, Gott ist ja schließlich viel größer als wir. Sorry, aber wenn Gott den Menschen ein Hirn geschenkt hat, dann sollte man es auch benutzen.
Comment by Bundesbedenkentraeger on 2011-04-01 11:58:34 +0100
Sie vergessen, daß Sie voraussetzen, daß alles wißbar ist (ich meine hier für den Menschen wißbar und ermittelbar, ohne das im Folgenden expizit zu wiederholen). Davon gehen Sie aus, wenn Sie sich dem Problem annähern. Weil Sie diese Position, daß alles wißbar ist nicht anzweifeln, im Gegensatz zur Existenz Gottes, kommen Sie ganz natürlich zu dem Schluß, daß es einen Widerspruch in der „Philosophie“ gibt.
Dabei halten Sie an Ihrer Philosophie fest. Sie könnten auch anders vorgehen: Setzen Sie die Existenz Gottes voraus, und ziehen Sie in Frage, daß alles wißbar ist. In dem Fall ist der Widerspruch dann in Ihrer Philosophie. Denn die Allwißbarkeit ist ebensowenig bewiesen, wie die Existenz Gottes.
Wo also, frage ich Sie, ist der Unterschied zwischen uns beiden in der Denkstruktur? Ich glaube an das „Phantasieprodukt“ Gott und Sie glauben an das Phantasieprodukt Allwißbarkeit.
Unser gottgegebenes Gehirn (wieso bezeichnen Sie es als „gottgegeben“, wenn Sie Gotte Existenz leugnen?) benutzen wir beide.
Comment by ostsachse on 2011-04-14 07:46:55 +0100
Die Frage, warum Gott etwas zuläßt, ist weder falsch noch richtig. Sie entsteht mit dem Gottesbild (bei vielen durch die Tradition und kirchliche Vermittlung hervorgerufen). Glaube ich an einen Gott, den Schöpfer, den Allmächtigen (und verstehe gerade dieses sehr trivial), dann muß die Frage „warum“ einfach kommen und dann erscheint sie legitim. In der Regel verhindert sie dann auch noch eigene Konsequenzen – wenn Gott Japan „zuläßt“, brauche ich mir um einen Atomausstieg keine Gedanken machen….Wenn Gott einen Unfall zuläßt, kann ich rasen wie Sau.. Am Ende bleibt die Frage unbeantwortet und in der Konsequenz wäre sie die Frage nach Gott. Was ist das für einer? Dann komme ich zu einem anderen Gottesbild, da stellt sich die Frage kaum, sondern dort wird dann kausal gesucht bis hin zur Frage nach eigener Schuld. (Warum habe ich es zugelassen, dass auch mit meinem kleinen Anteil ein so wahnsinniger Energieverbrauch entstanden ist) Allerdings, wenn Gott nichts „zuläßt“ oder positiv Böses „verhindert“, kommt eine andere Frage: wozu dann Gott. In der Regel verstehen ihn viele Menschen als Erfüller oder Verhinderer, als den, der in die Bresche springt, wo irgendwas unser Leben beeinträchtigt. Solche Vorstellungen scheint auch die Bibel zu produzieren, zumindest wenn man sie wörtlich liest. Warum heilt Jesus die wenigen und die vielen Tausend nicht? Im Alten Testament ist so vieles kausal mit Gott verbunden. Selbst die Sonne kann stille stehen, wenn er es will. Wer das wörtlich übernimmt, muß dann zwangsläufig fragen, warum er heute kein schönes Wetter für uns macht.
Im übrigens wird die Frage immer wieder neu in ganz bescheidener Form produziert. Wie oft wird vor einem Gemeindefest gebetet: wir bitten dich um schönes Wetter. Und dann heißt es in der Abschlußandacht: danke für das schöne Wetter. Unterschwellig wird wieder der allmächtige Gott produziert. Warum betet man nicht: wir bitten dich, auch wenn es regnet, um eine gute Gemeinschaft. Da bin ich selber mit dabei und dran und nicht der liebe Gott ist dran schuld, wenn er kein schönes Wetter gemacht hat und die Stimmung versaut war. Verlegen lächeln die Leute bei Nachfrage: klar, so ist das nicht gemeint. Warum machen wir uns nicht Mühe und Arbeit, richtig zu formulieren? Ist komplizierter, klingt nicht so fromm und kindlich glaubend, aber wäre ehrlich.