Mein Religionslehrer im Gymnasium hatte einen Spruch, den er immer wieder wiederholte: Freiheit und Verantwortung müssen sich die Waage halten. Nimmt man sich mehr Freiheit, als man dafür bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, so ist die Lücke, die entsteht der Ort der Sünde. So sagte er sinngemäß.
Damals konnte ich noch nicht ganz begreifen, wie er das gemeint hatte, es kam mir alles sehr abstrakt vor, aber in den letzten Tagen denk ich öfter darüber nach. Und zwar kommt es mir so vor, als höre ich in letzter Zeit öfters Forderungen nach bestimmten Freiheiten, die vor allem der eigenen Lebensqualität zu Gute kommen sollen, ohne nach einer damit verbundenen Verantwortung zu fragen.
Freiheit!
Eines wäre das in der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik immer wieder vorgebrachte „Recht auf ein gesundes Kind“. Im Fokus steht das vermeintliche Wohl der Eltern, nicht mit einem kranken, gar schwerstbehinderten Kind belastet zu werden. Hier wird das Kind zum Objekt und Produkt. Die Verantwortung, die jeder Mensch für die Einhaltung und Bewahrung der Menschenwürde hat, tritt zur Seite. Das Recht aller Menschen auf Würde, die einschließt, daß menschliches Leben nicht als Objekt oder Produkt behandelt wird, gerät aus dem Gesichtsfeld zu Gunsten eines neu formulierten Rechts der Eltern, Freiheit von bestimmten Sorgen zu haben. Bei einem solchen Recht kann man auch fragen, wie es einzuklagen wäre, wenn etwa das Kind, zu dem die Eltern ja ein Recht haben sollten, einmal doch krank wird.
Ein anderer Fall ist ein vermeintliches Recht, daß mir öfters mal von Atheisten vorgehalten wird: Da soll es ein Recht geben auf einen von Religiösem freien öffentlichen Raum. Freiheit von Religion also. Atheisten fühlen sich belästigt von Fußgängerzonenmissionaren, Kirchenglocken, vielleicht auch bestimmter Kleidung etc. Man beruft sich dabei auf die negative Religionsfreiheit.
Auch hier wird ein Recht postuliert, das eine bestimmte Gruppe im Fokus hat, nämlich die Atheisten, die ihren „Glauben“ ausleben, indem sie keinen Glauben ausleben. Alle anderen Formen ausgelebten Glaubens sollen aus der Öffentlichkeit möglichst verschwinden (Religion sei Privatsache), um nicht andere zu belästigen.
Vergessen wird dabei, daß es eben auch eine positive Religionsfreiheit gibt, die das Recht der Religiösen auf Religion garantiert. Dieses Recht wird in dem Maße verweigert, wie nach einem Verschwinden der Religion aus dem öffentlichen Raum gerufen wird.
Verantwortung?
Vorweg: Ich kann die Emotionalität der Debattebei der PID verstehen. Das ganze Thema ist sehr leidbelaste: Das Leid der Eltern, auf natürlichem Wege keine Kinder kriegen zu können. Das Leid, das sie durchmachen in der Prozedur, die zur künstlichen Befruchtung führt. Und dann auch das Leid, das ein evtl. behindert geborenes Kind zu tragen hat.
Beim Atheisten-Beispiel ist noch viel deutlicher zu sehen, daß Egoismen am Werk sind:
Ichichich! Ich will mein Recht! Ich will meine Freiheit! Was die anderen wollen ist mir erst einmal egal. Verantwortung für andere übernehmen, zurücktreten, damit andere auch zu ihrem Recht kommen, kommt den Verfechtern dieser neuen Rechte oft nicht in den Sinn.
Dadurch werden diese neuen Rechte, sollten sie sich im Rechtsverständnis der Menschen etablieren, zu einer Gefahr für die alten Rechte, die oft langwierig erkämpft werden mußten.
Das Recht auf ein gesundes Kind stellt die Menschenwürde in Frage. Der Wunsch der Eltern nach einem gesunden Kind nicht, damit wir uns verstehen. Aber von Wünschen kann man keine Handlungsverpflichtungen ableiten.
Das Recht auf ein Unbehelligtsein durch Religion stellt die positive Religionsfreiheit in Frage, die einen 30 jährigen Krieg brauchte, der ganz Deutschland verwüstete, um wenigstens in Ansätzen zu gelten.
Fazit
Ich denke, es ist wichtig, bei neu formulierten Rechten genau hinzusehen, inwieweit die Allgemeinheit im Fokus ist oder eine gewisse Gruppe bevorzugt behandelt werden soll. Gerade bei Fällen wie der PID, wo es absolut nachvollziehbar ist, daß man sich für und um die Eltern sorgt und ihnen Gutes tun will: indem man solche Rechte durchzusetzen versucht, tut man ihnen letztlich nichts Gutes.
Schlußendlich stehen wir nämlich alle in der Verantwortung, die bereits existierenden unumstrittenen Rechte bestehen zu lassen und ihnen immer wieder zur Durchsetzung zu verhelfen. Gerade auch gegen Angriffe durch neue Rechte, die lediglich bestimmte Egoismen bedienen sollen.