Naja, vielleicht ist es ja auch keine Erfindung, man möge in den Kommentaren Belege verlinken, aber wenn es eine Erfindung war, waren es nicht die Schweizer, auch wenn sie es abgedruckt haben, sondern in dem Fall ein Holländer: Leon de Winter.

In einem Interview mit dem Tagesanzeiger (via) behauptet der nämlich, es wäre „auf dem humanitären Schiff“ (das, auf dem es Montag morgen zu den Toten kam) „Tod den Juden“ gesungen worden. Dabei an Bord war er wohl nicht, denn nach seinen Aussagen waren das ja nur nützliche Idioten oder Menschen die sich von der Vergangenheit lösen wollen, indem sie Juden als Täter darstellen (hat die israelische Armee nicht auch christliche und drusische Soldaten? Oder dürfen die nicht zu den Eliteeinheiten?). Zu solchen nützlichen Idioten und Geschichtsrevisionisten zählt er sich wahrscheinlich nicht.

Er sagt auch nicht, daß er beim Auslaufen des Schiffes dabei war, noch zitiert er oder der Tagesanzeiger irgend eine andere Quelle, was bei solch schwerwiegenden Anschuldigungen doch hilfreich wäre (oder nicht?).

Bei den Menschen, die sich von der Vergangenheit lösen wollen, hätte ich noch ne Frage: Die nützlichen Idioten nämlich kommen erst ins Spiel, als von der Schweiz die Rede ist, die keine Nazi Vergangenheit hat. Darf ich mich jetzt als deutscher, der auch die israelische Regierung kritisch sieht, aber in der Schweiz wohnt, mich zu den nützlichen Idioten zählen? Oder legt mich mein Paß schon unwiderlegbar auf die Geschichtsrevisionisten fest? (ja, das war polemisch)

Ich bin mir sowieso nicht ganz so sicher, wer hier der „nützliche Idiot“ ist. Leon de Winter scheint eine sehr einseitige Linie zu fahren: Pro Israel. Das ist ja auch kein Problem, die Kritiklosigkeit am Geschehenen find ich nur erschreckend. Dazu kommt Emotionalisierung. So antwortet er auf die Frage nach den Gründen, warum in Europa so wenig Verständnis für das israelische Vorgehen vorherrscht, erst mal mit einem Verweis auf den Anschlag in Lahore. Thema verfehlt, setzen, 6!

Erst bei einer Nachfrage antwortet er dann mit den Geschichtsrevisionisten, nach einer weiteren Nachfrage räumt er ein, daß es auch nützliche Idioten gibt. Daß es vielleicht Menschen gibt, die sich wirklich fragen, ob da in Gaza alles so reibungslos läuft, wie uns die israelische Propaganda (die sagen sie seien im Krieg mit der Hamas, und im Krieg heißt PR Propaganda) glauben machen will, kommt ihm anscheinend gar nicht in den Sinn.

Denn in Gaza geht es den Menschen auch nicht besser als in gewissen Gebieten der arabischen Welt. Nun, die arabische Welt hat eine sehr breite Differenzierung von Wohlstandsverhältnissen, es gibt da schon Unterschiede zwischen armen Bewohnern von Kairo und Scheichs am Golf, doch Gaza soll mit dem unteren Ende verglichen werden. Sie seien ja frei (sind das die anderen nicht?) nd man müsse nr aufhören, Raketen zu schießen.

Und spätestens hier finde ich es geschmacklos. Wie viel Prozent der 1,5 Millionen Einwohner von Gaza schießen Raketen auf Israel ab? Wenn jeder Bewohner inklusive Kinder nur eine Rakete abgeschossen hat, müßten es über eine Million Raketen sein. Es waren wohl weniger, und die werden ach von einer kleinen Gruppe Extremisten abgeschossen, es ist wohl weniger so, daß jeder mal drankommt. Auch wenn man diesen Menschen noch ein paar Sympathisanten zuordnet, so bleiben doch immer noch genügend Menschen übrig, die nichts mit der Hamas am Hut haben und trotzdem leiden. Ach nein, es gibt ja „keinen Mangel an Produkten in Gaza“. (ich hab jetzt ne Weile gesucht nach aktuelle Berichten zur humanitären Lage in Gaza von unabhängigen Einrichtungen wie UN oder Rotes Kreuz und nichts gefunden, das macht mich skeptisch, hat da wer nen Link?)

In weiteren Verlauf des Interviews fragt de Winter dann nach dem Interesse der Türkei bei der Sache, und kommt zu dem Schluß, daß es um die Positionierung als neue regionale Macht geht. Den Punkt kann ich noch nachvollziehen, die Türkei könnte tatsächlich strategische Ziele damit verfolgen, sich so hinter die Aktivisten zu stellen. Gerade die Situation im eigenen Land (Stichworte: Armenier, Kurden, Mor Gabriel…) ziehen das Interesse an Menschenrechtsfragen ein wenig in Zweifel, wenn es nicht gerade um eigene Interessen geht.

Einen Zusammenhang mit dem Iran herstellen zu wollen find ich dann aber doch etwas weit hergeholt, wobei ich gerne zugebe, daß die türkisch-iranischen Beziehungen mir relativ unbekannt sind. Wer mehr weiß, hinterlasse einen Kommentar.

Am Ende schließt das Interview erneut mit dem nützliche-Idioten-Vorwurf gegen den ehemaligen Stadtpräsidenten von Zürich und dem Vorwurf, der diesem Artikel den Titel gegeben hat: Die Erschossenen hätten „Tod den Juden“ gesungen.