Früher, als noch alles besser war und schwarzweiß, da stand die Dogmatik im Mittelpunkt des religiösen Interesses: Wer ist Christus? Wieso ist er gestorben? Was bringt mir das? etc etc…
Aus dieser Dogmatik, die durchaus in verschiedenen Zeiten und Konfessionen sehr unterschiedlich gefasst und akzentuiert wurde, hat man dann Regeln für das Miteinander, die Ethik, abgeleitet. So entstand aus den Dogmen, daß Gott gut ist und die Bibel seinen Willen ausdrückt die ethische Forderung, die biblischen Gebote zu halten. Platt ausgedrückt.
Weitere ethische Forderungen wurden weiterhin aus Bibel und Dogmatik abgeleitet, bzw wurden gewisse Praktiken zu rechtfertigen gesucht, unter anderem auch Sklaverei und Antisemitismus, auch wenn diese Rechtfertigungen bei genauem Hinsehen doch sehr hahnebüchen wirken (so spricht Paulus im Philemonbrief nicht gegen die Sklaverei, deutet sie aber derart um, daß nicht mehr viel davon übrigbleibt, und die ständige Betonung des Vorrangs der Juden lässt den Antisemitismus späterer Zeit doch sehr schlecht durch die Bibel begründet verstehen)…
Mit der Zeit kam es dazu, daß andere Grundlagen für die Ausbildung der Ethik gesucht und gefunden wurden. Die Vernunft, das Sittliche etwa, die in der Aufklärung behauptete Güte aller Menschen, wenn sie nur recht unterrichtet wären (das gäbe noch einmal einen Artikel für sich). Ausgehend von diesen Dogmen der Neuzeit hat man dann Schritt für Schritt die alten Dogmen und damit die christliche Religion hinter sich gelassen. So konnten die ersten Aufklärer vielleicht noch anerkennen, daß durch die Religion Sittlichkeit gelehrt wird, aber nach und nach setzte sich die Ansicht durch, zumindest bei einigen Menschen, daß die Kirche mit ihren Dogmen überflüssig sei.
Interessanterweise aber werden viele ethische Aussagen immer noch in weiten Teilen der Bevölkerung anerkannt. Am bekanntesten ist wohl die Bergpredigt, sie wird immer wieder ach von Nichtchristen hervorgehoben und gelobt.
Auch in anderen Gebieten wird immer wieder auf ethische Positionen der Kirche verwiesen, etwa bei bioethischen Diskussionen. So hat also, auch wenn die Dogmatik der Kirche als überholt und nicht mehr zeitgemäß gilt, die Ethik immer noch einen gewissen Stellenwert.
Mir stellt sich nun die Frage: Kann man auch ausgehend von der Ethik die Dogmatik rückerschließen? Die christliche Ethik scheint ja in vielen Punkten mit den Dogmen der Moderne zusammen zu gehen. Sie geht aber auch zusammen mit den alten Dogmen des Christentums, ist sie doch aus diesen entwickelt worden.
Eine Verkündigung müßte also in der Lage sein, ausgehend von einer allgemein anerkannten Ethik auf die Dogmatik des christlichen Glaubens zu sprechen zu kommen, und somit die Möglichkeit einer erneuten Würdigung alter Überzeugungen von Evangelium und Erlösung bieten können.
Ich frage mich: Gibt es das schon? Werden Predigten geschrieben und gehalten, die nicht die Bibel (und die darin enthaltene Lehre) auslegen und zu einer Umsetzung in der Ethik kommen, sondern die umgekehrt von einem allgemein als gut anerkannten ethischen Handeln (ob es sowas wirklich gibt, wäre eine weitere Frage) auf Bibel und Lehre zurückkommen, nicht um diese als wahr zu erweisen (denn einen strengen Beweis kann es nicht geben), aber doch um eine gewisse Plausibilität der biblischen Botschaft herauszuheben und ihre Relevanz.
Über die Möglichkeiten und Gefahren einer solchen Methode bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. Vor allem ob und wie eine solche Predigt das Evangelium verkündigen könnte, statt nur die Schrift als lesenswert darzustellen, ist mir noch nicht ganz klar.
Aber vielleicht liest das hier der eine oder die andere und hat dazu eine Meinung, und es kommt zu einer Diskussion des Ganzen. Um Kommentare wird gebeten.