Ich hab grad ein Seminar belegt zu der Schrift Zwinglis mit dem Titel, den ich hier in der Überschrift genannt habe. Zwingli bezieht in dieser Schrift Stellung zu den gesellschaftspolitischen Fragen seiner Zeit. Es es die Zeit der Reformation, 1523, die Reformatoren haben gerade der kirchlichen Obrigkeit ihre Berechtigung abgesprochen und verschiedene Mißstände in der Gesellschaft angeprangert. Gleichzeitig formiert sich die Bewegung der Täufer, vor allem in der Schweiz, und ach in Deutschland bewegt man sich in Richtung Bauernkrieg.

Denn das Volk, nun bestärkt darin die Bibel selbst zu lesen und falsche Dogmen eigenständig zu entlarven, will Gerechtigkeit von den Fürsten, will nicht mehr unterdrückt werden.

In diese explosive Stimmung hinein schreibt Zwingli seine Schrift, und macht eine Differenzierung auf zwischen göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit. Die göttliche Gerechtigkeit ist die absolute Gerechtigkeit, unter der niemand leiden müßte, die alles betrifft und jede Verfehlung klar anzeigt.

Diese Gerechtigkeit ist vom Menschen nicht machbar. Kein Mensch kann sich zu 100% jederzeit daran halten. Hier kommt die Erbsündenlehre ins Spiel, aber darauf will ich hier nicht eingehen.

Obwohl kein Mensch die göttliche Gerechtigkeit einhalten kann und Gott auch gnädig ist (zumindest den Gläubigen gegenüber, noch so ein Thema, auf das ich hier nicht eingehen will), ist der Mensch doch schuldig, nach dieser Gerechtigkeit zu leben, beziehungsweise sich anzustrengen, es zu versuchen.

Dabei macht Zwingli eines klar: Richter über die Einhaltung der göttlichen Gerechtigkeit ist nur Gott alleine. Keine Obrigkeit kann sich anmaßen, darüber zu befinden. Dazu weiter unten mehr.

Teil der göttlichen Gerechtigkeit ist jedoch auch die menschliche Gerechtigkeit, über die die weltliche Obrigkeit, also die Landesfürsten bzw. Stadträte (Zwingli lebte ja in Zürich) zu wachen hatte. Aufgabe der weltlichen Obrigkeit ist dabei, für Ordnung zu sorgen, also zivilen Frieden. Bestrafung von Räubern und Mördern etc, Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Dieser Obrigkeit sei jeder Christ verpflichtet, Zwingli verweist auf Röm 13. Auflehnen gegen diese Obrigkeit ist dem Gläubigen untersagt, da jede Obrigkeit von Gott eingesetzt ist (eben Röm 13).

Neben der weltlichen Obrigkeit gibt es jedoch noch den Klerus, die Geistlichkeit. Dieser wird jede Obrigkeitsrolle abgesprochen. Wenn jemand Fürst sein will, so soll er sich nicht Verkünder und Bote nennen und den Titel Bischof führen, so schreibt er sinngemäß. Denn die Geistlichkeit hat für ihn eine ganz andere Rolle als das Schwert z führen.

Und darum geht es mir in diesem Beitrag: Mir scheint es, als führe Zwingli zum ersten Mal so etwas ein, wie eine Gewaltenteilung. Die Geistlichkeit hat nämlich die Aufgabe, zu verkündigen, und zwar das Gesetz Gottes aber auch das Evangelium. Nun spielt das Gesetz Gottes in vielen Fällen in das zivile Leben hinein. Die Forderung an die Armen zu denken kann durchaus eine Forderung an den Staat sein, also die weltliche Obrigkeit. Und wenn diese Forderung in der Kirche verkündigt wird, wird damit auch indirekt die weltliche Obrigkeit kritisiert. Man kennt diese Kritik der Politik von der Kanzel herab ja spätestens seit Margot Käßmann. Zwingli wäre damit wohl einverstanden gewesen, er spricht auch vom Wächteramt.

Und wie soll dich die weltliche Obrigkeit dazu verhalten? Sie soll nicht in die Verkündigung reinreden, weil das Gewissen nicht gezwungen werden darf. Man kennt das ja schon von Luther kurz vorher: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Aufgrund seines Gewissens und seiner Überzeugung hat er Kaiser und Papst widerstanden und mußte mit dem Tod rechnen. Trotzdem beugte er sein Gewissen nicht.

Ähnliches verlangt auch Zwingli: Die Obrigkeit soll sich aus dem Gewissen raushalten. Dieses betrifft den inneren Menschen und die göttliche Gerechtigkeit, darüber richtet Gott einmal. Verfehlungen auf diesem Gebiet sind eine Sache zwischen dem Menschen und Gott.

Der weltlichen Obrigkeit bleibt allein über den äußeren Menschen zu urteilen, also über seine Taten.

Ich glaube, in der Reformation wurde damit etwas eingeführt wie das, was wir heute die vierte Macht im Staat nennen: Die Presse, auch wenn es keine Presse war, sondern die freie Verkündigung. Sicher war diese Forderung Zwinglis nicht zwangsläufig durch die Obrigkeit gedeckt, aber der Gedanke scheint mir eine Grundlage zu sein für die später einsetzende Aufklärung, auf die Forderung nach dem Recht der freien Rede, das dann wiederum sicherlich auch gegen die inzwischen mit der Staatsgewalt wieder im Bündnis stehenden Kirche erkämpft werden mußte.

Jedoch finde ich diese Verneinung einer absoluten Obrigkeit, die auch über das Gewissen befinden kann, spannend. Auch wenn hier keine Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative gefordert wird, der Gedanke ist wohl noch etwas zu fern, die Macht der Obrigkeit wird zurückgedrängt, das Individuum bekommt ein Mindestmaß an Freiheit zugesprochen. Und all das begründet mit der Bibel, nicht mit irgend welchen Philosophen.

Gerade in der Hinsicht wäre es sicherlich einmal interessant nachzusehen, inwieweit Zwingli hier von der Idee her auf ältere Philosophen zurückgreift, er war ja immerhin Humanist und dürfte einen gewissen Kenntnisstand in diesem Bereich gehabt haben, und auch Luther, der ähnlich dachte, war wohl nicht ganz unwissend in Bezug auf die Philosophien, bezieht sich aber auch nach eigenem Verständnis allein auf die Schrift.

Mit diesem im Hinterkopf fällt es mir schwer anzunehmen, daß das Christentum so gar keinen Einfluß hatte auch die Entwicklung des modernen freiheitlichen Staates, wie dies immer wieder von atheistischer Seite behauptet wird. Aber das wird wohl ewig ein Streitthema bleiben. Die Behauptung eines von weltlichen Mächten freien und nur in Gott gebundenen Gewissens scheint mir zumindest ein großer geistesgeschichtlicher Wurf gewesen zu sein.

Comments

Comment by petersemenczuk on 2010-04-04 07:19:17 +0100

Wenn wir heute den Unterschied zwischen der göttlichen Gerechtgkeit und der, der Menschen unterscheiden wollen, so sollten wir Christus fragen und keinen Menschen und Fleisch und Blut.

  1. Christus nannte Petrus einen Satan und sprach zu ihm:
    „Hebe dich, Satan,von mir!
    du bist mir ärgerlich;
    den du meinst nicht,
    was göttlich,sondern was menschlich ist. Matthäus 16, 23

  2. Und Jakobus, ein Jünger Jesu, schreibt über das,was menschlich ist
    folgendes: „Habt ihr aber bitteren Neid und Zank in eurem Herzen,
    so rühmert euch nicht und lüget nicht wider die Wahrheit.
    Das ist nicht die Weisheit, die von oben herabkommt,
    SONDERN irdisch, menschlich und teuflisch. Jakobus 3, 14-15

  3. Die Gerechtigkeit Gottes und die der Menschen,
    ist wie Tag und Nacht,
    WAHRHEIT und IRRTUM/LÜGE,
    LICHT und Finsternis bei Gott und bei allen wahren Christen, die von
    Gott zu einem Christen und Kinde Gottes gemacht wurden, und nicht
    von anmaßenden und selbstberufenen Menschen/Fleisch und Blut.

Comment by bundesbedenkentraeger on 2010-05-04 13:45:11 +0100

Es liegt hier wohl das Problem vor, daß gleiche Begriffe benutzt werden für zwei unterschiedliche Dinge.
Die menschliche Gerechtigkeit ist einerseits die Gerechtigkeit, die im Staat, also dem menschlichen Gemeinwesen herrschen soll. Andererseits ist die menschliche Gerechtigkeit auch unberufen vom Menschen als gerecht bezeichnete Ordnungssysteme.
Was ist nun z tun? Der Mensch ist in jedem Fall und immer Sünder. Er strebt danach, die Gerechtigkeit, soweit sie ihm aufgetragen ist, umzusetzen. Das bedeutet, wenn er Macht im Staat hat, dann strebt er im Idealfall danach, diese Macht im Sinne des Gotteswillens, nämlich für den nächsten einzusetzen, und Unrecht zu strafen oder besser noch: Zu verhindern.
Dabei kann er aber nicht alle Bereiche des menschlichen Lebens regeln. Der Staat, das heißt, die Menschen, die den Staat lenken, seien es Könige oder Kanzler, haben das Recht nicht, in das Gewissen einzugreifen und eine gewisse Religion vorzuschreiben. Sie können aber die äußeren Dinge regeln.

Dabei werden sie sündigen, denn sie sind alle allzumal Sünder. Keiner ist gerecht aus sich selbst. Und hier kommen beide Gerechtigkeitsbegriffe zusammen. Aber bedeutet das, daß der Mensch gar nicht erst versuchen soll, gerecht zu leben und das in seiner Macht stehende zu tun um der Gerechtigkeit genüge zu tun? Mitnichten!

Bedeutet dies nun, daß der Mensch alles in seiner Macht stehende tun kann, m das, was er für gerecht hält, durchzusetzen? Auch nicht. Er kann, sollte er in der entsprechenden Position sein, Gesetze erlassen, die die Gerechtigkeit unterstützen in äußerlichen Dingen wie Besitz etc. Aber die inneren Dinge, der Glaube, wird alleine von Gott beurteilt und gerichtet, dazu hat der Mensch kein Recht, und einer Obrigkeit, die solche Regelungen trifft ist man trotz Röm 13 in diesem Punkt nicht schuldig zu folgen, ja man hat als Christ eher noch die Pflicht, dagegen zu sprechen und die Überschreitung der obrigkeitlichen Kompetenz anzuprangern.