Jetzt ist sie also zurückgetreten. Frau Bischöfin Käßmann ist keine Bischöfin mehr, keine EKD-Ratsvorsitzende, nur noch Pfarrerin. Sie stolperte über eine Fahrt unter Alkoholeinfluß, und zwar erheblich viel Alkohol, jedenfalls so viel, daß man nach menschlichem Ermessen hätte wissen können, daß man nicht mehr fahrtüchtig ist.
Auch wenn Frau Käßmann viel Zuspruch erfahren hat in dieser Situation, und auch noch erfährt, so gab und gibt es doch auch sehr kritische und moralinsaure Stimmen. Also Kritiker, die sich so verhalten, wie sie es ihr gerade noch vorwarfen. Man liest von der Hoffnung, daß nun endlich nicht mehr so viel in die Politik hineingeredet wird wie dies bei Käßmann der Fall war. Denn Käßmann sei ja nun weg, moralisch nicht mehr in der Lage, irgend etwas zu kritisieren. Und überhaupt sei die Kirche keine Institution, die sich zur Politik äußern solle. Seelsorge, ein bißchen Halleluja singen, das solle die Kirche tun.
Zuerst ist anzumerken, daß die Kirche sehr wohl auch zu Politik reden kann und muß. Denn die Kirche hat den Auftrag, das Evangelium zu verkünden, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes trotz der Fehler der Menschen. Dazu ist es jedoch nötig, auch die Fehler zu benennen, die begangen werden, und diese werden nicht nur beim Halleluja-Singen begangen, sondern auch in der Politik, auf die jeder Christenmensch in einer Demokratie auch Einfluß hat. Wie Frau Käßmann zur Buße angesichts ihrer Alkoholfahrt gerufen wurde, so muß eben auch die Gesellschaft zur Buße, also zur Umkehr gerufen werden, wenn sie in eine falsche Richtung marschiert. Und so rief Bischöfin Käßmann zur Umkehr angesichts Afghanistan. Sie rief dazu auf, wahrzunehmen, was dort passiert und nicht einfach alles schön zu reden.
Zum Zweiten ist anzumerken, daß gerade jetzt Käßmann nicht weg ist vom Fenster. Vielmehr wäre eine Bischöfin Käßmann weg gewesen, denn niemand hätte mehr auf sie geachtet, immer hätte man sich auf ihre Alkoholfahrt und ihr Verbleiben im Amt bezogen. Nun aber ist sie nicht mehr die Bischöfin, nicht mehr die EKD-Ratsvorsitzende. Sie hat die Konsequenzen gezogen, hart und geradlinig.
Es ist eben nicht so, daß sie keine andere Wahl gehabt hätte. Ihre Verfehlung betraf eine weltliche Angelegenheit, sie wird vor weltlichen Gerichten stehen müssen und sich verantworten im Rahmen des deutschen Gesetzes. Es gibt jedoch keinen formalen Grund, der einen Bischof wegen einer Alkoholfahrt zum Rücktritt zwingt. Sicher ist es unschön, bei dem Rückhalt Käßmanns beim Kirchenvolk und auch in den Gremien, der EKD Rat sprach ihr ja das Vertrauen aus, hätte sie sich aber ohne weiteres im Amt halten können. Hätte sie es gewollt, hätte auch die BILD sie nicht zurückhalten können.
Sie ist trotzdem gegangen und hat damit bewiesen, daß es ihr nicht darum geht, am Amt zu hängen. Sie hat geradlinig die Konsequenz aus ihrem Fehler gezogen und ist aus dem Amt ausgeschieden.
Sie ist nicht weg vom Fenster, weil sie ihre Moral, die man ihr immer vorwarf, durchgezogen hat. Ich denke nicht, daß sie von irgend jemandem verlangt hätte, moralisch perfekt zu sein (man liefere mir entsprechende Links). Das wäre unchristlich. Jedoch hat sie verlangt, den Kurs bei erkanntem Fehler zu korrigieren, bzw. Fehler auch erst einmal zu sehen.
In ihrem Fall hat sie das nun getan: Sie hat gesehen, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Durchaus auch einen großen Fehler. Und sie hat ihren Kurs korrigiert, hat nicht stur durchgezogen, sondern ist zurückgetreten.
Nun ist sie frei, weiterhin die Moral zu fordern, die sie selbst vorgelebt hat. Als Bischöfin hätte sie das nicht gekonnt, als Pfarrerin hat sie diese Freiheit neu erworben. Sicher ist sie jetzt nicht mehr in der Position, in der man leicht gehört wird. Ein Bischof hat mehr Publikum als ein Pfarrer. Aber Käßmann wird die Medien finden und die Medien werden Käßmann finden. Ich glaube nicht, daß dies das Letzte war, was wir von ihr hörten. Und ich hoffe es auch nicht, auch wenn ich ihr inhaltlich sicherlich nicht immer 100% zustimmen konnte.
Ihre Kritiker allerdings haben es nun schwerer. Denn sie müssen sich nun auch an der Meßlatte messen lassen, die Käßmann vorgegeben hat. Und die ist nun relativ hoch. Alles in allem also doch ein Sieg für Käßmann?
Für mich ist der ganze Vorgang ein Beleg für die Aussage, daß Gott in den Schwachen mächtig ist, und daß die Schwäche die Kraft Gottes ist. Durch Käßmanns Rücktritt, der Schwächung ihrer Position, hat sie die Stärke, die sie durch die Alkoholfahrt verloren hat, zurückbekommen. Sie ist nun frei, freier als sie es bisher war.