Jörg Tauss, ehemaliger MdB und erster Pirat in einem Parlament, hat über Twitter nachgefragt, wer der Zeit und den Internetausdruckern die Bedeutung der Netzneutralität für den Rechtsstaat erklärt, das Ganze mit dem Hashtag #Freibier. Das motiviert.
Ich hab zwar gerade auf den fraglichen Zeit Online Artikel reagiert, doch nicht unter dem Gesichtspunkt der Netzneutralität. Doch in der Tat, die Zeit fordert Eingriffe ins Internet, eine Regulierung desselben, statt zu fordern etwaige Straftäter, die sich des Internets bedienen, mit bereits in Kraft befindlichen Gesetzen zu verfolgen.
Der Rechtsstaat ist ausgezeichnet durch einen gewissen Satz von Rechten, über die jeder Bürger unabhängig von seiner Person verfügt. Diese Rechte sollen dem Bürger ermöglichen, sich frei in die Gesellschaft einzubringen, und in einer Demokratie (ein Rechtsstaat ist nicht zwangsläufig eine Demokratie und umgekehrt, siehe auch hier) soll er sich auch frei in die Politik einbringen können. Das Recht der freien Meinungsäußerung garantiert hierbei, daß Bürger frei kommunizieren können und über diese Kommunikation auch Gruppen bilden können, die ihren Einfluß auf Staat und Gesellschaft, wiederum durch Kommunikation, auszuüben.
Dies bedeutet eine unglaubliche Macht, die der herrschenden Klasse, und damit ist nicht nur die Politik, sondern auch Wirtschaft, Boulevard und wer sonst noch Einfluß hat, gemeint, gefährlich werden kann. So kann eine Gruppe den Etablierten ihre Macht, ihr Geld und ihren Einfluß streitig machen, indem sie Vorschläge macht und verbreitet, die zu einer Verbesserung der Situation, ob finanziell, moralisch oder wie auch immer führen sollen.
Derjenige, mit den besten Vorschlägen soll sich durchsetzen. Dabei entscheidet in der Demokratie die Bevölkerungsmehrheit, was der beste Vorschlag ist, ansonsten der Monarch, der sich wiederum auch nicht gegen eine starke Mehrheit in seinem Volk wenden kann, falls er keine starke Armee hat, aber das ist ein anderes Thema.
In einem demokratischen Rechtsstaat wie der BRD ist die freie Rede grundlegend wichtig, um das Funktionieren des Systems zu gewährleisten. Wird die freie Rede unterbunden oder beschnitten geht dies IMMER mit der Gefahr einher, daß derjenige, welche die freie Rede unterbindet oder einschränkt, diese Mach der Kontrolle nutzt, um seine eigene Macht zu mehren, sei es nun eine Einzelperson, eine Regierung oder ein Unternehmen.
Der Rechtsstaat hat kein Interesse daran, irgendwelche Institutionen oder Einzelpersonen zu stark werden zu lassen, da dies mit der Gefahr einher geht, daß diese ihre Macht nutzen, um den Rechtsstaat abzuschaffen.
Nun fordert die Zeit Online, daß das Internet kontrolliert werden soll und spricht von einer Erosion des Rechts im Internet. Im Internet muß es jedoch genau so wenig ein Recht geben, wie in anderen Medien. Die Rechtsverletzung findet nicht im Internet statt, auch nicht in irgend einem anderen Medium. Sie findet an einem Ort statt, ist territorial greifbar. Und dort gilt das Recht des Territoriums. Unsere Gesetze gelten auf unserem Territorium. Die schlimmsten Straftaten werden international gleich verfolgt. So ist mir kein Staat bekannt, der etwa Kindesmißbrauch, und dazu gehört dann auch Kinderpornografie, nicht verfolgt. Selbst Frau von der Leyen konnte keinen Staat nennen, der nicht protestiert hätte.
Die Neutralität des Internets gewährleistet das Recht auf die freie Rede. Eine Kontrolle oder Beeinflussung der Internetkommunikation, ob durch Regierung, Service Provider oder Andere, stellt eine Einschränkung der Freiheit zur Kommunikation dar und schafft somit beim Kontrolleur ungeheure Machtfülle. In der Zukunft wird gelten: Wer as Internet kontrolliert, kontrolliert die öffentliche Meinung, und zwar mehr als die BILD dazu je in der Lage war.
Wenn die öffentliche Meinung jedoch nur von einer oder ein paar wenigen Instanzen kontrolliert werden kann, dann ist der Rechtsstaat vom Tisch, dann ist nicht mehr jeder gleich vor dem Staat, sondern derjenige, der sich gegen den Meinungsmacher stellt riskiert, ganz schnell ganz allein zu stehen und für seine vom Meinungsmacher abweichende Meinung bestraft zu werden.
Deshalb muß de Regierung die Netzneutralität garantieren und nicht abschaffen. Das ist schon nach dem Grundgesetz ihre Aufgabe, und jeder Bundesminister leistet seinen Amtseid auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung, ebenso jeder Bundeswehrsoldat beim Gelöbnis.
Die Erosion des Rechts im Internet ist nicht das Problem, denn Rechtsbruch findet nicht im Internet statt, weil es im Internet keine Menschen gibt. Die sitzen IMMER vor den Rechnern, und da kann man sie greifen. Eine Erosion des rechts gibt es höchstens in der sogenannten realen Welt. Und ich befürchte, das liegt nicht daran, daß die Gesetze fehlen, denn Kindesmißbrauch ist verboten, ebenso die Verbreitung von Kinderpornos.
Nein, die Erosion des Rechts kommt von der mangelnden Durchsetzung des Rechts. Die Polizei ist nicht hinreichend personell ausgestattet, vieleicht auch nicht geschult, vielleicht wird auch an anderer Stelle (Raubkopien) mit so hohem Druck ermittelt, daß für die Verfolgung von Kinderpornografie und Kindesmißbrauch keine Ressourcen mehr zur Verfügung stehen.
Die Erosion des Rechts kommt also nicht daher, daß es im Internet keine Gesetze gäbe, sondern daher, daß in einigen Politikfeldern immer nur Gesetze gemacht, aber keine Gesetze durchgesetzt werden. Zensur ist immerhin günstiger als Polizeipersonal. Und hilfreich für den eigenen Machterhalt, Polizisten erinnern sich ja vieleicht noch an den Amtseid und denken selbst.
Eine Abschaffung oder Aushöhlung der Netzneutralität würde jedenfalls der Erosion des Rechts (und damit der Erosion des Rechtsstaates) Vorschub leisten, weil Verfehlungen verschleiert werden können, und keiner hat’s gewußt…