Unser Vizekanzler und Außenminister hat ja in letzter Zeit vor allem in der Innenpolitik von sich reden gemacht. Alles fing an mit einem Gastbeitrag des weiten Mannes der Regierung in der Welt vom 11.2.2010. Darin schrieb er:

Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.

Anstrengungslos, darauf hebt er ab. Hartz IV Empfänger dürften nicht mehr verdienen als jemand, der für sein Geld arbeitet und auch Steuern bezahlt (und damit die staatliche Stütze mitfinanziert). Der Staat sei nur noch als Zahlmeister gefragt, die Mittelschicht, die alles trägt, sei geschrumpft.

Ich glaube, der Knackpunkt liegt in dem Satz aber nicht beim Wörtchen „anstrengungslos“, auf das sich der Bundesminister so stürzt. Der Knackpunkt liegt beim „Wohlstand“. Welcher Wohlstand soll das denn sein, mit Hartz IV? Wann lebte Herr Westerwelle den zuletzt von einem monatlichen Einkommen auf Hartz IV Niveau? Und nein, nicht einfach in längst vergangene Studientage zurückrechnen. In den 1980ern waren die Lebenshaltungskosten um einiges niedriger.

Herr Westerwelle lebt in einer Welt, in der sich Leistung lohnen muß, in der sich der Markt selbst reguliert und staatliches Eingreifen zwangsläufig einem Pakt mit dem Teufel gleichkommt, das alles nur noch schlimmer macht. In dieser Welt kann jeder etwas werden, wenn er sich nur anstrengt und etwas leistet. Verlierer gibt es nicht. Höchstens vielleicht ein paar faule Hunde Gammler Arbeitslose, die sich nur nicht genug anstrengen wollen, nichts leisten.

Die Welt ist eine andere. In der Welt, in der wir eben, lohnt sich Leistung nicht. Das mag in den 1960er Jahren noch ansatzweise so gewesen sein, als auch ein Arbeiter noch mit der Familie in der Vorstadt ein Häuschen hatte und auch das ein oder andere Mal nach Italien in den Urlaub fahren konnte.

Doch wo lohnt sich heute denn Leistung, wenn ein Ackermann oder Zetsche auch nur 24 Stunden pro Tag hat und Millionen bekommt, während sich ein Arbeiter 8 Stunden auf dem Bau abquält und trotzdem nur noch mit dem Zahlen der Rechnungen hinterher kommt, weil seine Frau als Altenpflegerin im chronisch überbelegten Altenheim, in dem mindestens noch zwei Pfleger mehr von Nöten wären, um die Menschen ansatzweise menschenwürdig zu versorgen, sich den Rücken kaputt arbeitet. Ist der Rücken einmal kaputt ist dann auch Schicht im Schacht. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß die Zuzahlungen zur ärztlichen Behandlung der durch Leistung erworbenen Rückenschäden das Budget der Familie übersteigen während die Kinder der Familie sich nicht einmal mehr Hoffnungen machen, über Hartz IV hinaus zu kommen. Lehrstellen gibt es nicht, Studium nicht finanzierbar, leistungswillig abr nicht leistungsfähig, aufgrund der Rahmenbedingungen.

Der Markt reguliert sich schon selbst, doch in den seltensten Fällen ist dies sozial verträglich. Und so kommt es dazu, daß der Staat immer wieder große Unternehmen stützt, die eigentlich kaputt gehen müßten aufgrund schlechten Wirtschaftens. Nur würde bei einigen Unternehmen ein Scheitern zu viele andere Unternehmen mit in den Abgrund reißen. Der Markt nimmt keine Rücksicht auf menschliche Schicksale. Er ist ein kaltes Prinzip, er wächst, er stürzt zusammen und begräbt hin und wieder auch einmal ganze Generationen unter sich.

Staatliches Eingreifen mag durchaus kritisch sein. Und sicher können private Unternehmen effektiver handeln. Das führt dann aber auch dazu, daß die Unternehmen sich überlegen, wo sie ihr Geld machen. So kommt es, daß ich diesen Artikel schreibe von einem Internetanschluß, der nicht einmal ein normales DSL mit 768 kb schafft. Es ist für die Telekom nicht wirtschaftlich, den ländlichen Raum zu erschließen. Also sind wir von der Entwicklung abgeschnitten, trotzdem hier noch mehr Mittelstand pro Einwohner zu finden ist als in den Ballungsgebieten. Die neoliberalen Ideologien der letzten Jahrzehnte machen es dem Mittelstand schwer.

Das römische Reich ging nicht unter, weil es an seine Untertanen soziale Leistungen verteilt hätte. Es ging unter, weil eine relativ kleine Schicht Reicher faul geworden war und gar nicht mehr gewillt war, Leistung zu erbringen. Man hatte es ja so schon geschafft, während große Einwandererströme, darunter die germanischen Stämme, nicht integriert wurden und so Parallelgesellschaten bildeten, gleichzeitig kam es immer wieder durch Plünderungen römischer Unterschichtler, die zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben hatten.

Wie es ausging ist bekannt. Die römische Bildungsschicht war abgewirtschaftet und die ins Reichsgebiet eingedrungenen Stämme übernahmen die Staatsgewalt. Da sie nicht den Bildungsstand der dekadenten Römer hatten, ging erst einmal viel Wissen verloren und es kam zur Zeitenwende von der Spätantike zum finsteren Mittelalter.

Ob uns eine solche Entwicklung bevorsteht, bleibt abzuwarten. Falls es jedoch der Fall sein sollte, sehe ich nicht, wie noch weniger soziale Leistung, noch mehr Ausgrenzung armer und bildungsferner Schichten durch Studiengebühren, Unterfinanzierung der Schulen, vor allem der Hauptschulen, eine solche Entwicklung verhindern soll. Meiner Meinung nach wird die neoliberale Ideologie geradewegs in eine solche Richtung führen.