Die Frage hört man in den letzten Tagen wieder öfter, nachdem Haiti von einem Erdbeben zerstört wurde und nun ein fast ebenso starkes Nachbeben, zehn- vielleicht hunderttausende Tote, unvorstellbares Elend.
Wieso läßt Gott das zu. Wieso tut Er nichts, wenn Leid die Menschen bedroht? Wie kann man da sagen, Gott sei gut?
Auf der einen Seite kann man erst einmal unterstellen, Gott würde ja schon was tun: Die enorme Spendenbereitschaft international, die Hilfe läuft an, und wenn auch vielen Menschen nicht geholfen werden kann, so überleben doch auch viele aufgrund der Hilfe. Was hat das mit Gott zu tun? Nun, man kann behaupten, die Menschen wären von Gott dazu bewegt worden zu helfen, ob bewußt oder unbewußt. Man kann das behaupten, man muß es aber nicht. Und so kann man auch genauso sagen: Gott tut gar nichts, der einzige, der was tut, ist der Mensch, und nicht der Mensch an sich, sondern der Mensch der hilft. Und gegen diese Sichtweise läßt sich nichts vorbringen. Es läßt sich nicht beweisen, daß Gott etwas getan hätte oder tun würde, um das Leid zu lindern.
Ist also Gott doch nicht gut, nicht der liebe Gott? Wenn Gott überhaupt existiert, ist er dann vielleicht sogar ein böser Gott, ein Kind mit einem Brennglas, wie Jim Carey als Bruce im Fim „Bruce Allmächtig“ sagt?
Was ist überhaupt gut, und was ist schlecht? Ist Leid gut oder schlecht? Ist Tod gut oder schlecht? Ist Hilfe gut oder schlecht? Wir haben ja eine ganz genaue Vorstellung davon, was wir als gut und was als schlecht bewerten: Wenn Kinder sterben ist das schlecht. Wenn alte Menschen sterben wird es manchmal als schlecht aufgefasst, weil Sterben per se als schlecht aufgefasst wird, manchmal aber auch wird der Tod als alter Menschen, wenn sie etwa lange krank und bettlägrig waren, als Erlösung empfunden oder wenigstens als nicht schlecht.
Was ist mit Leid? Eigentlich auch schlecht, doch wenn es in der Therapie einer Erkrankung vornimmt, dann doch wieder nicht schlecht. Manche nehmen auch die Schmerzen plastischer OPs in Kauf, um danach eben mehr ihrem ästhetischen Ideal zu entsprechen. Sind die hier auf sich genommenen Schmerzen auch schlecht? Sicher würde man sie gerne auch noch umgehen können, aber wenn man es freiwillig in Kauf nimmt ist es wohl nicht so schlimm wie Schmerzen, von denen man nichts hat.
Die Entscheidung aber, ob Tod oder Leid gut oder schlecht ist, steht nicht immer ganz so fest. Der Tod an sich ist sogar ei Schicksal, das uns allen blüht. Sollte es jemand schaffen, schmerzfrei durch’s Öeben zu kommen, dem Tod wird er nicht ausweichen können.
Ich weiß, wie zynisch das folgende klingen muß, aber trotzdem: Ich denke, das was die Menschen in Haiti gerade durchmachen unterscheidet sich nicht qualitativ von dem, was Menschen überall auf der Welt durchmachen: Überall sterben auch Kinder: An Autounfällen, Krankheiten, Natrukatastrophen. Überall kommt es auch zu schweren und schwersten Verletzungen. Der Unterschied liegt lediglich in der Menge des Leides, das auf einmal über die Menschen auf Haiti kam.
Wieso eigentlich stellt niemand die Frage, wie Gott das zulassen kann, wenn ein Kind bei einem Autounfall stirbt? Gott ist ja nicht gefahren… hier kommt er noch am ehesten davon. Bei Krankheiten schon weniger, wobei auch hier der Mensch etwas tun kann, beispielsweise bei Hygiene etc. Auch soll das Leben neben Atommeilern der Gesundheit abträglich sein…
Über Jahre haben sich äußerst wenige Menschen um das Leid, das täglich auf Haiti herrschte, gekümmert. Es war qualitativ nicht anders als heute: Menschen sind gestorben, verhungert, Kinder wurden in die Sklaverei verkauft, um Geld für den Rest der Familie zu haben, damit nicht alle verhungern müssen…
Das Leid gab es schon immer, vorher fragte niemand, wie Gott das zulassen konnte. Denn vorher hätte ja der Mensch selbst etwas tun können. Was haben unsere Bundesregierungen bisher denn an Hilfe geschickt im Vergleich zu heute? Bedarf wäre da gewesen. Was haben die Menschen gespendet? Ich bin froh über jede Hilfe, die die Menschen bekommen, und ich will keinem Spender ein schlechtes Gewissen einreden, weil er nicht schon vor nem Monat für Haiti gespendet hat. Quantitativ ist die Not ja gestiegen.
Die Frage, die mich beschäftigt ist: Kann man das Gott in die Schuhe schieben? Und ich denke: Nicht unbedingt. Die Menschen wären gestorben, so oder so. Nimmt man, etwa als Christ, Gott als gegeben an, dann kann man damit rechnen, daß die Toten auferstehen werden, wie sie auch auferstanden wären, hätten sie länger gelebt. Nimmt man Gott nicht an, dann sind die Toten tot und hätten vielleicht noch ein langes, erfülltes Leben vor sich gehabt, vielleicht auch ein Leben in Armut und Not. Nur, wie immer es auch gewesen wäre: Wenn man Gott nicht annimmt, kann man auch nicht fragen, wie Er das zulassen konnte. Gläubig kann man darauf vertrauen, daß Gott sich um die Menschen kümmert, was auch immer passiert, ungläubig kann man nicht einmal Gott verantwortlich machen.
Eins kann man aber tun, egal ob gläubig oder ungläubig, egal wer nun auch immer Schuld ist an Erdbeben, an Kriegen, an Hungersnöten und dergleichen: Man kann helfen: Durch Geldspenden, durch Sachspenden, durch Engagement… Nicht alle Not ist in Übersee. Wir haben genug Not auch hier in unserer Nachbarschaft. Niemand kann alle Not abstellen, und vielleicht können wir das nicht einmal, wenn wir alle zusammen helfen. Jede Hilfe lindert aber Not, ob man dem Nachbarn hilft, indem man ihn aus der Vereinsamung reißt und mal mit ihm redet, oder ob man hohe Beträge an Hilfsorganisationen spendet. Jeder hat seine Möglichkeit zu helfen und seine Neigungen. Setzen wir sie ein.