Robert Enke und kein Ende. Ich muß zugeben, ich wußte nicht einmal, daß er Nationaltorwart ist, bis in den Medien von seinem Tod berichtet wurde. Ich war immer noch auch dem Stand Lehmann stehen geblieben… Fußball ist nicht gerade mein Lebensmittelpunkt, obwohl ich als Pfälzer natürlich zum FCK halte.

Jedenfalls habe ich die Berichterstattung in den Medien bisher nur am Rande wahrgenommen, vielleicht auch deshalb, weil ich im Ausland lebe und das Thema hier nicht so präsent ist.

Bis ich über nen Tweet auf folgenden Artikel gestoßen bin:

Suizid ist, wenn einer sich umbringt

Es handelt sich auf dem Blog mit den vielen „u“s und „i“s m einen Gastbeitrag einer Suizidalen, die aus ihrem Leben berichtet, was in ihr vorgeht. Es bietet einen Einblick in das, was vielleicht auch in Enke vorging, bevor er seinem Leben ein Ende setzte. Der Beitrag ging mir nah, und ich machte mir Gedanken.

Kann es sein, daß die Gesellschaft, und damit wir alle, sich zwar Gedanken darüber macht, was da passiert ist, aber schon weniger Gedanken über das Warum? Man kam ja auch schnell zu einer Lösung: Depressionen. Dann noch ein Aufruf: Depressionen in Zukunft ernst nehmen, bei Deisler wurde es nicht hinreichend beachtet. Gut, Problem erkannt, Lösung gefunden: Wenn jetzt einer mit Depressionen an die Öffentlichkeit geht, erkennen wir ihn an, nicken verständnisvoll und ziehen unserer Wege. Wir sprechen nicht mehr von Versagern und Losern, sondern denken es höchstens noch, und statt der Noten bei Bild gib es demnächst Daumen hoch oder runter, oder sonst ein Pictogramm… Problem gelöst.

Doch der genannte Artikel läßt das so einfach nicht zu. Das Problem scheint mir anders gelagert zu sein. Es geht nicht um das Anerkennen des Problems als Problem. Naürlich ist es kontraproduktiv, von „Weicheiern“ zu sprechen, aber es löst die Sache noch nicht, wenn man es unterläßt.

Die Menschen sind immer noch alleine mit sich, und da scheint mir das grundlegende Problem zu sein. Niemand nimmt sich ihrer an, keiner geht auf sie zu. Zumindest nicht in er Art, daß es ihnen besser geht und sie den letzten Schritt in den Freitod nicht gehen.

Um eins klarzustellen: Ich möchte den Hinterbliebenen keine Vorwürfe machen, daß sie etwas falsch gemacht hätten. Sie sind nur diejenigen, die es am stärksten getroffen hat. Das Problem ist ein Gesellschaftliches: Ein falsch verstandener Individualismus. Die Mär vom Menschen, der sein Glück in eigenen Händen hält.

Mir geht es nicht um ein Abschaffen der Sebstbestimmung, bei Leibe nicht!. Der Individualismus ist an sich eine gute Sache, denn keiner kann mehr dem anderen Vorschriften machen, wie dieser etwas zu tun oder zu sehen hätte. Der Individualismus ist Grundage unserer individuellen Freiheiten. Und auf die möchte ich nicht verzichten, die möchte ich nicht in Frage stellen.

Was möchte ich dann? Zeigen, wo der Individualismus vielleicht sein Ende hat und in Negatives umschlägt. Wenn ich meinem Nächsten Freiheit zugestehe, ist das eine gute Sache. Wenn ich ihn zur Freiheit verdonnere, ändert sich das. Denn damit lasse ich ihn ein Stück weit im Stich.

Die Menschen scheinen mir Angst zu haben, aufeinander zuzugehen. Menschen haben Angst, Schwächen einzugestehen in der Öffentlichkeit und andere damit vielleicht zu belästigen. Es gehört sich nicht, es ist unhöflich, wenn ich Menschen, vielleicht sogar wildfremden Menschen, mit einen Problemen in den Ohren liege. Was tue ich also, wenn ich Probleme habe und höflich sein will? Ich mache es mit mir selbst aus. Wenn ich Selbstzweifel kriege? Auch das erledige ich mit mir selbst. Wen ich meine, selbst die Menschen, die mir sehr nahe stehen, die mich lieben: Eltern, Ehepartner, Kinder, eiden eigentlich nur unter mir und meinen Unzulängichkeiten?

Ich bleibe so lange bei mir selbst und mache die Dinge mit mir selbst aus, und begebe mich in eine Spirale nach unten, bis ich es nicht mehr aushalte, bis ich mich und meine Mitmenschen retten will und mich selbst entsorge.

Und plötzlich sind alle geschockt. Wie konnte er/sie das tun? Er/Sie war psychisch krank. Da kann man nichts machen. ErSie hatte Depressionen. Er/Sie hatte große Probleme im Privatleben…

Alles mögliche Erklärungen. Und Entschuldigungen. Wenn jemand psychisch krank ist, dann kann ich dem ja nicht helfen. Das muß ein ausgebildeter Arzt tun. Wenn jemand private Probleme hat, dann liegt das an seinem privaten Umfeld, nicht an mir. So kann man sich immer aus der Affäre ziehen, und bürdet die Schuld denen auf, die unter Umständen Himmel und Hölle in Bewegung setzten, um die Person zu retten, ihr zu zeigen, daß sie geliebt ist.

Manchmal reicht es nicht. Manchmal braucht es mehr. Mehr Anerkennung, mehr Lastenverteilung, mehr Gemeinschaft. Ich glaube, wir müssen zusehen, daß wir einander wieder mehr auf den Geist gehen. Etwas unhöflicher sind und nachhaken, wenn wir meinen, jemandem geht es nicht gut.

Höfchkeit tötet im Zweifel, wenn uns jemand nicht um Hilfe bittet, der eigentlich weiß, daß er alleine nicht mehr klarkommt. Diese Höflichkeit tötet denjenigen, der Höflich ist, und stürzt Menschen in seinem Umfeld in eine tiefe Krise.

Also seid Unhöflich. Ertragt die Unhöflichkeit. Geht aufeinander zu. Fragt, ob ihr helfen könnt, bei den banalsten Sachen. Geht Beziehungen mit Euren Mitmenschen ein, bindet sie in ein Beziehungsgeflecht, das sie vielleicht auch soweit tragen kann, daß sie sich angenommen fühlen, und nicht als Problem. Vielleicht rettet das Leben. Jedenfals wird man viele interessante Menschen kennenlernen…