Ich habe ein neues Blog entdeckt. Es nennt sich „Christliches Forum“ und versteht unter „christlich“ offenbar römisch-katholisch, wie dem auch sei, eine scheinbare Wortneuschöpfung dort hat mich etwas befremdet: Das Wort „Fernstenliebe“.

Der Begriff kommt in dem Artikel „Nächstenliebe kommt vor Fernstenliebe: Zuerst den verfolgten Christen helfen“ vor, der mich in vielen Punkten befremdet, so etwa auch darin, dass offenbar selbst dem „Herrgott“ nicht so recht über den Weg getraut wird, hat er doch auch Kriege und Revolutionen zugelassen. Schimmern hier Folgen der Werkgerechtigkeit durch? Steht hier die Ansicht im Hintergrund, man müsse Gott helfen, weil der seinen Job alleine nicht schaffen kann oder schaffen will?

Auch befremdet mich, dass gefordert wird, einen Unterschied zu machen bei den Flüchtlingen hinsichtlich ihrer Religion. Beziehungsweise wird andersherum den (katholischen) Bischöfen vorgeworfen, diesen Unterschied nicht machen zu wollen (schön, daß die EKD im Allgemeinen und Käßmann im Besonderen nicht immer auf der Abschußliste stehen). Der Artikel greift dabei, fast möchte man meinen in protestantischer Manier (erstens weil gerade dieser Apostel gewählt wurde und zweitens, weil mit der Schrift gegen die Inhaber des Lehramtes Lehramt argumentiert wird), auf den Apostel Paulus zurück und dessen Forderung, zuerst den Brüdern zu helfen.

Nun, man könnte Paulus auch so verstehen, dass ihm wichtig ist, die Bürder nicht zu vergessen, dass es ihm weniger um eine zeitliche oder generelle Präferenz geht. „Liebe Deinen Nächsten“ (jetzt mal nicht Paulus sondern Mose und in dessen Folge die Evangelien), so wie es präzisiert wurde im Lukasevangelium, kennt ja auch keine Einschränkung.

Was mich zur Fernstenliebe bringt. Ich dachte ja, das Wort existiere gar nicht, bis ich danach gegoogelt habe. Offenbar hat es Hans Jonas schon einmal verwendet, indem er forderte, die Nächstenliebe aufgrund der technischen Entwicklung zu einer Fernstenliebe weiterzuentwickeln.

Ich habe das Buch von Jonas nicht gelesen, halte aber die Unterscheidung zwischen Nächsten- und Fernstenliebe für überflüssig, da Jesus im Lukasevangelium den Nächsten schon als einen ziemlich fernen bezeichnet. Und zwar im Gleichnis vom armherzigen Samariter:

Das Gleichnis ist bekannt, ein Mann fällt unter die Räuber und die religiöse Elite Israels läßt ihn liegen, während ein Samaritaner sich um den Verletzten kümmert, ihn in eine Herberge bringt und Unterkunft und Pflege bezahlt.

Jesus erzählt die Geschichte auf die Frage hin, wer denn der Nächste sei, und die Zielrichtung der Frage ist klar, oder kann zumindest so aufgefasst werden: Wem muss ich helfen, und wen kann ich übergehen?

Jesus erzählt daraufhin das Gleichnis und stellt am Ende die Frage: Wer ist der Nächste dessen, der überfallen wurde. Und die Antwort lautet: Der Samaritaner.

Man muss sich vergegenwärtigen, wer die Samaritaner waren: Sie gehörten einer anderen Religion an, man hatte als Jude keinen Kontakt zu ihnen und als Samaritaner hatte man auch keinen Kontakt zu den Juden. Man lebte in direkter Nachbarschaft, Samaria liegt zwischen Judäa und Galiläa, beides Gebiete wo Juden wohnten, also konnte man einander nicht ganz vermeiden.

Und jetzt heißt es, dieser Samaritaner ist der Nächste, einer der fernsten Menschen für einen Juden. Die Römer und Griechen standen ja schon fern, als Ausländer und noch dazu Polytheisten. Die Samaritaner verehren einen Gott, den Gott Moses, Isaaks und Jakobs. Aber sie verehren ihn auf dem Garizim und nicht in Jerusalem. Wir kennen es, wie Religionen, die sich sehr nahe stehen, vor allem größere Spannungen bedeuten zwischen ihren Anhängern. Deshalb ist der Samaritaner auch ferner als ein Römer. Und deshalb distanzieren wir uns so viel mehr vom Islam als zum Beispiel vom Buddhismus. Der Dalai Lama ist viel beliebter hierzulande, als irgend ein islamischer Geistlicher. Dabei kennt die Mehrheit der Menschen weder den Islam noch den Buddhismus sonderlich gut.

Wenn Nächstenliebe bedeutet, selbst den Samaritaner zu lieben, dann ist jede Rede von Fernstenliebe überflüssig, dann ist der Fernste der Nächste.

Das bedeutet nicht, daß man sich nicht um die Brüder (und Schwestern) kümmern soll. Man kann das eine tun und das andere nicht lassen, deshalb ärgert mich am verlinkten Artikel vor allem die falsche Dichothomie, die er aufmacht: Als müsse man sich entscheiden, entweder Christen oder allen anderen zu helfen. Das ist Unsinn.

Leider kann ich den Autor nicht für einen unsinnigen Menschen halten, sondern ich befürchte, dass er genau weiß, was er tut. Er beschwört Ängste herauf, und Ängste sind immer schlechte Ratgeber. Man kan sie aber gut nutzbar machen für allerlei Dinge. Und diese Dinge haben alle eines gemeinsam: Sie sind unchristlich.

Denn Angst muß kein Christ mehr haben, seit der Herr an Ostern auferstand. Er soll sie auch nicht verbreiten, sondern das Evangelium, das ebenfalls genau das Gegenteil von Angst ist, es ist eien Freude für die Menschen.

Meine Hoffnun ist, dass die Menschen das erkennen. Meine Befürchtung ist, dass dies kaum geschehen wird.