Sei nicht weise in deinen Augen. Fürchte den HERRN und halte dich fern vom Bösen.

Das Thema „Weisheit“ im Alten Testament ist so umfangreich, dass ich darauf an dieser Stelle nicht in aller Breite eingehen möchte, sondern auf diesen Artikel verweise. Ansonsten beschränke ich mich auf einen Aspekt, den ich spannend finde:

Es geht bei der Weisheit um eine Erkenntnis, die den Einzelnen wie die Gemeinschaft zu gelingendem Leben befähigt. Gelingendes Leben kann sowohl Vermeidung von Krisen (so → Proverbien) als auch Bewältigung von Krisen (so eher bei → Hiob und → Qohelet) bedeuten. Weisheit ist damit handlungsorientiert und wird so zur Lebenspraxis..

(Vgl. hier, 1.1 , 6. Absatz)

Ich finde an diesem „Konzept der Weisheit“ interessant, dass es nicht um rein intellektuelles Wissen ohne Bezug zur Lebenswirklichkeit geht. Der Ausdruck „in deinen Augen“ wird im Griechischen mit einem Reflexivpronomen im Dativ wiedergegeben (Vgl. V. 7), deshalb wird dieser Satz auch mit „Halte dich nicht selbst für weise“ übersetzt.

Der nächste Satz liest sich förmlich als Erklärung zu diesem Satz: Fürchte den HERRN und halte dich fern vom Bösen. Mit Furcht ist hier Ehrfurcht gemeint. Ehrfurcht vor Gott kann nur empfinden, wer sich seiner eigenen Grenzen bewusst ist (auch wenn nicht jeder, der sich seiner Grenzen bewusst ist, gleich ehrfürchtig Gott gegenüber wird). Da die Furcht des HERRN sich im rechten (d.h. richtigen) Lebenswandel zeigt, kann die Aufforderung „meide das Böse“ als Parallelismus memborum (Merkmal bibelhebräischer Poesie, vgl. hier 3.1) verstanden werden. Wie der „richtige Lebenswandel“ auszusehen hat, darüber lässt sich streiten. Ich glaube, man ist auf einem guten Weg, wenn man sich dies vor Augen hält:

Jesus antwortete: »Das erste ist: ›Höre, Israel: der Herr, unser Gott, ist Herr allein, 30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Denken und mit aller deiner Kraft!‹ (5.Mose 6,4-5) 31 An zweiter Stelle steht dieses (Gebot): ›Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!‹ (3.Mose 19,18) Kein anderes Gebot steht höher als diese beiden.«

(für diejenigen, die es im Textzusammenhang lesen wollen: Mk 12, 28-31)

Das stellt einen vor gehörige Herausforderungen, denn es bedeutet auch, dass man zum Vergeben bereit ist. Christus hat sich dieser Herausforderung gestellt und noch am Kreuz um Vergebung für seine Henker gebeten. Deshalb ist grade die Passionszeit eine gute Zeit, um sich ganz bewusst mit der Vergebung zu befassen. Stellen wir uns der Herausforderung, in unserem Alltag Vergebung zu leben, mit der Zeit ohne Ärger an die zu denken, die uns Unrecht getan haben (z.B. indem sie unseren Laptop klauen…).