Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Art. 4 Abs. 2 GG

Es ist schon erstaunlich, was man dieser Tage aus Berlin zu hören bekommt. So soll nun nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts ein muslimischer Schüler nicht das Recht haben, der Ausübung seiner Religion nachzkommen.

Wohlgemerkt, es geht darum, was der Schüler in der Pause tut, nicht um Gebete bei laufendem Unterricht.

Der fragliche Schüler wollte, ursprünglich einfach nur beten, hat das getan auf dem Schulflur. Da man aber von Seiten der Schulleitung ein Konfliktpotential darin zu erkennen meinte, daß bestimmte Schüler ihren Glauben so sichtbar äußern, wurde ihm dies verboten und nach viel hin und her kam es wohl dazu, daß ein Raum zur Verfügung gestellt wurde, in dem andere Schüler nicht durch die Gebete des jungen Muslim gestört werden.

Denn beten durfte der inzwischen junge Mann nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts im letzten Jahr, das nun durch das Oberverwaltungsgericht gekippt wurde.

Nun also kein Schulgebet mehr, daß ja auch nach islamischem Glauben ohne Not zeitlich auf nach der Schule verschoben werden kann. Außerdem habe der Schüler den Raum äußerst selten benutzt, man vermutete, er meine es gar nicht so ernst mit seinem Glauben.

Ich frage mich jedoch, was dies alles auszutragen hat bei der Frage, ob Art. 4 Abs. 2 des GG in Berliner Schulen gilt oder nicht. Als Christ habe ich gar keine Gebetspflicht, trotzdem bete ich, wenn mir danach ist, wo und wann ich will, und weiß das durch das GG geschützt. Ob und wie oft der Schüler den Raum nutzt – nach Aussage des Schülers wurde der Raum ihm wohl auch nicht immer aufgeschlossen bzw. fielen Schulstunden aus, weshalb der Schüler zur Gebetszeit zu Hause war und dort das Gebet verrichtete – spielt ebensowenig eine Rolle. Man verliert ein Grundrecht nicht, wenn man es für eine Weile nicht gebracht. Das ist ja das Tolle daran! Auch mein Wahlrecht verliere ich nicht, nur weil ich bei den letzten Wahlen nicht an die Urne gegangen bin. Auch wenn ich mich entsprechend biblischer Lehre dazu entschließe, mich von übel gesinnten Zeitgenossen verprügeln zu lassen ändert dies nichts daran, daß ich das Recht auf körperliche Unversehrtheit habe. Und selbst das Recht der freien Berufswahl verliere ich nicht, wenn ich mal 5 Jahre lang gar nicht arbeite. Vielleicht werden meine Bezüge empfindlich zusammen gestrichen, aber ich muß nicht arbeiten um mein Recht auf freie Berufswahl zu wahren.

Der junge Muslim allerdings scheint sein Recht auf Religionsausübung verlieren zu können, wenn er es nicht häufig genug in der Art anwendet, daß es aktenkundig wird.

In der Online Ausgabe eines Berliner Printmediums habe ich auch gelesen, wenn dem Muslim das Gebet erlaubt wird, müßte man jeder Religion einen Gebetsraum zusprechen. Was schon deshalb irrsinnig ist, weil der Schüler den Raum ja gar nicht wollte, sondern offen auf dem Flur betete. Der Raum kam erst ins Gespräch, als die Schulleitung gezwungen war, das Gebet zuzulassen, aber nicht bereit war, dies offen und für alle sichtbar zuzulassen.

Und hier kommen wir zum Hauptproblem, das wohl auch die Richter des OVG dazu bewog, das Gebet zu verbieten: Das öffentliche Gebet hat Demonstrationscharakter und kann Druck ausüben auf weniger religiöse Schüler, gleichzuziehen. Es hat wohl auch schon Diskussionen um Kopftuch und das richtige Fasten gegeben. Nur frage ich mich auch, ob ein demonstratives Nichtbeten nicht genauso politisch ist oder sein kann? Wird so nicht auch Druck auf die Religiöseren ausgeübt? Eine Frage, die ich für mich noch nicht abschließend beantwortet habe.

Was mir aber klar ist ist, daß der Konflikt, der in der Gesellschaft besteht, nicht aus der Schule mit dem Verweis auf die Neutralität herausgehalten werden kann. Wenn unter Hauptstadtmuslimen Fasten, Kopftücher und Gebet zu Konflikten führen, dann bestehen diese Konflikte, ob man sie in der Schule sehen kann, oder nicht. Es hat auch nichts mit einer Vorbereitung auf das Leben „da draußen“ zu tun, wenn man solche Konflikte per Gesetz der Schule verweist. Die Schüler werden da draußen dann wieder auf die Konflikte treffen, und unvorbereitet sein.

Wenn also ein Schüler zum Gebet genötigt wird, dann muß dies besprochen werden. Am Besten im verpflichtenden Ethikunterricht, und hier zeigt sich dann auch die Schwäche dieser Berliner Errungenschaft: Im Ethikunterricht werden konservative und liberale Muslime etwas im Gespräch ausfechten, was der säkular oder vielleicht auch christlich geprägte Lehrer gar nicht ganz nachvollziehen, gar nicht ganz verstehen kann, und zu dem er vor allem nichts sagen kann und auch in den Augen der Kinder keinerlei Kompetenz hat. Hier wäre ein islamischer Religionsunterricht mit einem islamischen Lehrer, der den Koran studiert hat und auf dem Boden des GG steht eine echte und wirkliche Errungenschaft. Denn er könnte kompetent und wissend auf die Konflikte eingehen und diejenigen Schüler, die das Gebet lieber zu Hause oder gar nicht verrichten wollen, gegen ihre konservativeren Mitschüler in Schutz nehmen. Und er würde, als studierter Islamtheologe und Muslim eben auch die nötige Autorität haben, um von den Konservativen anerkannt zu werden.

Es ist verständlich, wenn die Schulleitung die Konflikte nicht an der Schule haben möchte, doch sie wird nicht drum herum kommen. Die einzige Chance besteht darin, diese Konflikte anzugehen und zu entschärfen. Drückt man sie aber weg und läßt sie im eigenen Referenzrahmen nicht zu, tut man damit nicht mehr als zu sagen: Laßt mich mit Eurem Konflikt in Ruhe, der geht mich nichts an. Erinnert an die Welt vor 1968, als die Vorgärten schön hergerichtet, die Kleidung und Frisuren der Menschen „anständig“ waren und Konflikte vertuscht, totgeschwiegen oder sonstwie vom Auge der Öffentlichkeit verborgen wurden, um ja keine Unruhe aufkommen zu lassen. Es hat etwas von Falschheit, von schöner Façade vor modrigem Kern.

Deshalb hoffe ich, daß der Schüler in Revision geht und die Durchsetzung des Grundgesetzes ach in Schulen erkämpft. Von meiner Seite wünsche ich ihm Gottes Segen für das Vorhaben.

Comments

Comment by alien59 on 2010-05-28 06:09:50 +0100

Danke, sehr gut zusammengefasst. Das OVG hat mich schwer schockiert – aber vielleicht hatten sie Angst vor der öffentlichen Meinung …