Durch einen Tweet von Herusche wurde ich auf einen Artikel in der Onlineausgabe des Westens (wo sieht man eigentlich, ob das im Print erschien?) vom 4.1.. aufmerksam.

In dem Artikel geht es um die Kritik einiger Pfarrer der Westfälischen Landeskirche an ihrem Präses Alfred Buß. Der Artikel liest sich nach bekanntem Muster: Hier die konservativen, ewiggestrigen Pfarrer, die Homosexuelle therapieren wollen und alleine mit einem Biblizismus argumentieren, auf der anderen Seite der aufgeschlossene Kirchenchef, der als zu liberal verschrien wird. Nach Lesen des Artikels war ich dann doch etwas aufgebracht und beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen, als Theologiestudent kann ich ja durchaus auch zwei, drei Worte zum Thema ablassen, also machte ich mich auf die Suche nach dem Offenen Brief.

Fündig wurde ich bei der UK, der Kirchenzeitung der Westfälischen und Lippischen Landeskirchen. Unter einem Artikel zum gleichen Thema findet sich ein Downloadlink zu einer Datei, die den Offenen Brief der besagten Pfarrer, sowie eine Antwort seitens Buß enthält.

Das Lesen des Briefes stimmte mich ein wenig versöhnlicher. So schreiben die Pfarrer:

Wir teilen mit Ihnen die Ablehnung von Diskriminierung und Anfeindung gegenüber homosexu-
ell empfindenden Menschen. Ihnen gilt wie allen Menschen die Liebe und Zuwendung Gottes und
damit auch die Liebe und Zuwendung der Kirche.

Damit heben sie sich schonmal von Aussagen wie dieser ab, deren Urheber sich auch noch auf seine römische Kirche beruft. Bei allen Unterschieden, die ich als Protestant zu Rom habe, kann ich mich nicht daran erinnern, daß die Kirche Roms in letzter Zeit zum offen zum Haß aufgerufen hätte. Aber das soll hier nicht Thema sein.

Auch wenn dies schon einmal zumindest die Basis für ein Gespräch herstellt, denn die homosexuellen Menschen werden nicht per se abgelehnt, so ist es doch auch erst der Anfang. Was wollen sie eigentlich genau aussagen?

Im Blick auf die gelebte Homosexualität sind wir allerdings deutlich anderer Meinung als Sie.
Gelebte Homosexualität entspricht nicht der Schöpfungsordnung Gottes, wie sie in der Bibel be-
schrieben wird. Die Ehe von Mann und Frau ist die vom Schöpfer gewollte und im Aufeinander-
Bezogen sein von Mann und Frau angelegte Form des Zusammenlebens, in der gelebte Sexuali-
tät und Weitergabe neuen Lebens ihren Platz haben (vgl. Gen 1,27+28; 2,24); praktizierte Homo-
sexualität wird nicht nur im AT (z.B. Lev 18,22), sondern auch im NT eindeutig abgelehnt (Röm 1,
26+27).

Es geht also um das Ausleben, nicht die Anlage, was immer noch schlimm genug ist. Dabei berufen sie sich als Pfarrer auf die Bibel. Das dies für Nichtchristen nicht mehr nachvollziehbar ist, liegt in der Natur der Sache. Und auch liberale Christen orientieren sich nicht am Wortlaut der Bibel, wenn sie sie auch nicht ganz von der Hand weisen. Trotzdem denke ich, muß den Pfarrern im Rahmen der Religionsfreiheit zugestanden werden, ihre Meinung diesbezüglich zu äußern. Es steht jedem frei, einer anderen Religion zu folgen, jedoch von einer anderen Grundlage aus die Pfarrer anzugreifen ist schwach. Moderne Lebensweise von einem vormodernen Standpunkt anzugreifen wäre genau so schwach. Man wirft anderen quasi ihr Bekenntnis vor, was ein Stück weit auch Kulturimperialismus ist und meist nirgends hinführt. Angreifbar sind sie alleine auf dem Grund, den sie gewählt haben:

Da wir mit der Kirchenordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen die Heilige Schrift als
alleinige und vollkommene Richtschnur des Glaubens, der Lehre und des Lebens ansehen, kön-
nen wir einer Gleichstellung homosexueller Lebensformen mit der Ehe in keiner Weise zustim-
men.

Also die Bibel. Wie gesagt, säkular denkende Zeitgenossen werden spätestens hier daran denken, nicht mehr weiter zu lesen, doch sei darauf hingewiesen, daß mit Berufung auf die Bibel auch die Reformation ins Rollen kam, die irgendwo auch Grundlage ist für die Akzeptanz des Individuellen.

Es ist vielleicht auch noch zu erwähnen, daß Seitens der Pfarrer Bibelstellen wie 1. Kor 6, 9f:

Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben.

nicht genannt wurden, wie dies oftmals seitens einiger Evangelikaler noch vorkommt. Es scheint sich die Einsicht durchgesetzt zu haben, daß in derartigen Stellen (1. Tim 1,9f wäre ein anderes Beispiel) um eine asymetrische Partnerschaft geht, in der der eine durch den anderen ausgenutzt wird. Dies ist jedoch nicht mit einer gleichberechtigten homosexuellen Partnerschaft zu vergleichen!

Aber zu den Bibelstellen, auf die sich die Autoren des Briefes berufen. So behaupten sie, die Ehe sei die vom Schöpfer gewollte Form des Zusammenlebens und berufen sich auf 1. Mose 1,27f

Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.

sowie auf 1. Mose 2, 24:

Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch.

Festzuhalten wäre: Beide Bibelstellen sprechen nicht von Ehe. Die eine Stelle hält fest, daß der Mensch als Mann und Frau geschaffen wurde, der andere hält fest, daß der Mann Vater und Mutter verläßt. Komischerweise kommt niemand darauf, eine Heiratspflicht aufbauend auf der zweiten Bibelstelle zu begründen. Es ist scheinbar nicht von jedem Mann die Rede, sondern nur von einigen Männern, die dies tun. Angesichts der 4 Frauen Jakobs stellt sich auch die Frage, ob die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau wirklich die vorgestellte Idealform des Zusammenlebens in der Bibel ist, oder ob hier pietistisch-neuzeitliche Vorstellungen der Bibel übergestülpt werden. Es ist sicherlich nicht z verleugnen, daß es Ehen zwischen Männern und Frauen gibt. Es ist sicherlich nicht zu verleugnen, daß solche Ehen von Gott gesegnet werden. Es ist aber auch zu beobachten, daß der Segen manchmal nicht sichtbar ist und Ehen zerbrechen. Es läuft nicht nach Schema F. Und es gibt christlicherseits anerkannte Formen des Lebens, die der Ehe nicht entsprechen, wie beispielsweise das Zölibat, auch wenn evangelischerseits der Zwang dazu abgelehnt wird. Mir ist keine christliche Stimme bekannt, die das Zusammenleben von Mann und Frau in einer Ehe für alle Menschen vorschreiben würde.

Mir ist auch keine Stimme bekannt, die es als Sünde bezeichnet, wenn sich einsame Menschen Haustiere anschaffen, um der Einsamkeit zu entfliehen, auch wenn dieser Vergleich hinkt weil er bei Analogisierung auf die Homosexualität dieser wieder als defizitär darstellen würde, was ich nicht tun will. Ich will nur feststellen, daß konservative Christen auch nicht überall gleich stark hinsehen.

Wie sieht es mit der Ablehnung der Homosexualität in AT und NT aus? Zwei Stellen, eine je Bibelteil, werden erwähnt. Für das AT Lev 3. Mose 18,22:

Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.

Eine ähnliche Stelle gibt es kurz darauf noch einmal. 3. Mose 20,13 ist direkter und verlangt die Todesstrafe:

Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen.

Sieht man in den hebräischen Text, so ist beide Male von מִשְׁכְּבֵ֣י אִשָּׁ֔ה, dem „Bettlager der Frau“ die Rede. Übersetzt wird es interessanterweise mit „wie bei einer Frau“, doch kann ich keine Vergleichspartikel, die mit „wie“ zu übersetzen wäre, erkennen. Menschen mit besserer Hebräischkenntnis mögen mich korrigieren. Es scheint mir jedoch, als gehe es in den Kontexten der jeweiligen Stellen um Konstellationen des Geschlechtsverkehrs, die die existenten Beziehungen in Frage stellen, etwa wenn jemand mit der Frau seines Vaters (die nicht die Mutter sein muß!) Verkehr hat. Ebenso ist es zu erwarten, wenn jemand in seinem Haus ein Bettlager der Frau hat, daß dann auch eine Frau vorhanden ist. Wenn nun ein Mann mit einem Manne auf dem Bettalger der Frau liegt, bzw Sex hat, dann stellt er seine Beziehung mit der Frau in Frage, wie er die Beziehung seines Vaters in Frage stellt, wenn er mit dessen Frau verkehrt. Unter diesen Vorannahmen kann ich durchaus verstehen, wenn dies verboten wird. Es geht dann aber nicht um die Homosexualität, sondern um das Betrügen der eigenen Frau durch die Beziehung mit einem Mann. Sicher bin ich mir bei dieser Deutung kein Stück, wäre jedoch an Rückmeldung interessiert, falls jemand Argumente pro oder contra kennt.

Letztlich wird noch der Apostel Paulus ins Feld geführt mit seinem Römerbrief. Die Stelle ist Römer 1, 26f:

Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen; desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihrer Verirrung, wie es ja sein musste, an sich selbst empfangen.

Auch hier stellen sich Fragen. So ist die erste Frage die, um was es Paulus geht. Geht es ihm um eine Aussage über die Gottgefälligkeit der Homosexualität, oder benutzt er eine vorausgesetzte Abneigung gegen Homosexualität in Rom (die es dort im Gegensatz zu Griechenland gab) um eine andere Aussage zu tätigen? Die Frage war rhetorisch gemeint, denn bei genauem Hinsehen geht es um etwas anderes, nämlich die Sündhaftigkeit aller Menschen, die er anhand der damals in Rom als moralisch verwerflich angesehenen Homosexualität explizierte.

Interessant finde ich die Aussage, daß der natürliche Verkehr verlassen, bzw vertauscht wurde. Sind hier Menschen gemeint, die eigentlich heterosexuell sind, aber aus welchen Gründen auch immer, zum Beispiel im Kult für eine Gottheit, homosexuellen Verkehr praktizierten? Äußerungen Pauli aus dem Kontext, wie Röm 1, 21-23:

Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere.

lassen mich an die griechische Kultur mit ihren Philosophen und Weisen denken. Auch die Götterbilder, die Menschen gleich sind erinnern an Griechenland, die tiergestaltigen Gottheiten sind wohl eher eine Spezialität des Orients (ich kenn mich da aber nicht so gut aus), der jedoch auch lange hellenisiert war. Wobei zu bedenken ist, daß im Umfeld der antiken Philosophen (und wohl auch danach) eben die oben geschilderte asymetrische Partnerschaft eine Rolle gespielt zu haben scheint.

Nach alldem muß aus meiner Sicht gesagt werden, die Quellenlage ist zumindest fraglich, eine Diskussion durchaus nötig. Der Vorwurf, den die Pfarrer in Richtung Kirchleitung vorbringen:

Sie plädieren für einen „behutsamen Diskussionsprozess“. Wir fragen uns, ob ein wirklicher
Diskussionsprozess von Ihnen überhaupt erwünscht ist, da Weg und Ziel für Sie schon festste-
hen.

kann insofern zurückgegeben werden. Trotzdem ist in dieser Sache Fingerspitzengefühl angebracht, und zwar in beide Richtungen. Selbstverständlich in Richtung der Homosexuellen, die als Kinder Gottes und unsere Geschwister im Glauben keinen geringeren Teil am Reich Gottes haben, als heterosexuelle Menschen.

Aber auch in Richtung konservativer Christen sollten wir behutsam vorgehen und versuchen, sie mit Liebe zu überzeugen. Eine Diskussion ist keine Belehrung über die Wahrheit, die Wahrheit muß gesucht werden. Keiner kann behaupten, sie in der Tasche zu haben. Im Hören aufeinander kann ein gemeinsames Verständnis entstehen, nicht aber im um die Ohren hauen der eigenen Ansichten. Das betoniert gegensätzliche Überzeugungen oft auf Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, wenn aus Prinzip an einer Aussage festgehalten wird, die man sonst vielleicht schon fallen gelassen hätte.

Bis diese gemeinsame Sichtweise erreicht ist, sollte Toleranz herrschen, denn die Frage nach der Sexualität ist nicht heilsrelevat. Sünder sind alle Menschen, unabhängig von der Sexualität, und als Gläubigen ist uns allen, unabhängig von der Sexualität die Schuld vergeben worden und wir sind von Gott angenommen. Detailfragen, wie die nach der sexuellen Praxis, können bis zum gemeinsamen Kontext privat entschieden werden, ohne dadurch das Evangelium zu schmälern.

Das bedeutet, daß konservative Christen als eine Sache zwischen Progressiven und Gott verstehen, wenn in der Kirche homosexuelle Ehen gesegnet werden. Bei aller Kritik müssen sie darauf achten, die Geschwister nicht verächtlich zu machen und ihren Glauben nicht in Frage zu stellen. Nur Gott kann in die Herzen sehen.

Das bedeutet aber auch, daß Progressive es hinnehmen, wenn Konservative Kurse anbieten, in denen sie meinen, Homosexuelle heilen zu können, so lange sie es als ein Angebot an Menschen, die dies aus eigener Überzeugung wollen, darstellen, und nicht in diffamierender Weise als einziger Weg zum Heil für Homosexuelle. Es scheint tatsächlich Leute zu geben, die sich als homosexuell ansahen, mit ihrer Sexualität Probleme hatten, und sich nach einem solchen Kurs besser fühlen. Auch solchen Menschen steht es zu, mit ihrer Sexualität so umzugehen, wie sie es wünschen. Wenn andere meinen, es gäbe einen besseren Umgang mit der nichtgewollten Sexualität als diese zu unterdrücken, so mag dies sein (und ich neige dieser Sichtweise durchaus zu), trotzdem darf dies nicht dazu führen, daß die Progressiven nun ihrerseits Druck auf die ungewollt Homosexuellen ausüben in der Art, daß diese ihre Sexualität auszuleben hätten.